FORUM 08/2014 – PLANEN – 3-D-Print, Amsterdam/NL



"Landscape House", Visualisierung: Universe Architecture


Mehrwert 3-D-Drucker?
Im internationalen Rennen um das erste aus dem 3-D-Drucker geborene Haus bleiben auch die Niederländer nichts schuldig. In Amsterdam gibt es zurzeit zwei Architekturbüros, die mit Forschung, Planung, Finanzierung und Umsetzung der ersten Bauwerke aus dem 3-D-Drucker befasst sind.
Das so genannte „Landscape House“ von Janjaap Ruijssnaars und Universe Architecture soll dereinst als Museum für temporäre Ausstellungen dienen. 

Text von Michael Koller

Ganze Bauwerke aus dem 3-D-Drucker zu gebären erscheint für Architekten der logische, nächste Schritt – nach dem Drucken von räumlich und geometrisch komplexen Gebäudemodellen und dem immer weiter verbreiteten Arbeiten mit 3-D-Programmen wie SketchUp, Revit, 3ds Max, oder Rhino, um nur einige zu nennen. Wie immer ist die Übersetzung der 3-D-Computermodelle in gebaute Strukturen die wirkliche ingenieurstechnische Herausforderung, wobei auch hier die Entwicklungen nicht stehen bleiben.

DIE FRAGE NACH DEM MEHRWERT 
Um den Bau von Gebäuden mittels 3-D-Druckern zu rechtfertigen, muss zuerst einmal die Frage gestellt und beantwortet werden, welches Mehr diese Produktionstechniken gegenüber herkömmlichen Bautechniken bieten. Geht es dabei ausschließlich um eine Prestigefrage, um das Testen und die Einführung neuer Produktionstechniken, oder bereichert die Techniken die Architektur, eröffnen neue Möglichkeiten des Bauens oder sogar soziale Aspekte? Auf all diese Fragen gibt es mehrere Antworten. Die Motivationen, diese Technologie voranzutreiben, sind verschiedener Natur, wie zwei in Amsterdam momentan geplante Gebäude sehr gut darstellen:

Test Site Canal House, DUS Architects, Amsterdam © Marijke van Woerden
 
CANAL HOUSE 
Auf einer kleinen Parzelle im Norden Amsterdams, nur einige hundert Meter vom EYE-Filminstitut von Delugan Meissl Associated Architects entfernt, experimentieren DUS Architecten aus Amsterdam seit dem 1. März 2014 mit einem eigens entwickelten 3-D-Drucker namens „KamerMaker“ an der Machbarkeit eines typischen Amsterdamer Grachtenhauses, dem Canal House. In einer typisch holländischen Mischung aus charmanter Frische und kalkulierender Selbstvermarktung wurde das auf drei Jahre angelegte Projekt auf dieser Parzelle als eine Mischung zwischen Baustelle, Forschungszentrum und Museum eingerichtet.
Laut Hedwig Heinsman, Hans Vermeulen und Martine de Wit von DUS Architects war die Typologie der Amsterdamer Grachtenhäuser, als sie vor rund 400 Jahren beim Anlegen der Kanäle gebaut wurden, ein innovatives Vorbild. In jedem Grachtenhaus waren mehrere Funktionen gleichzeitig untergebracht: Handel, Lager, Wohnen, Handwerk. Jedes der Häuser war reich dekoriert und einzigartig. DUS griff diese Haustypologie auf, um zu untersuchen, ob und wie dieses traditionelle und für lokale Werte stehende Grachtenhaus im 21. Jahrhundert funktionieren kann.

Das von den Architekten vorgestellte Konstruktionsprinzip des Canal House ist ebenso einfach wie verspielt und erinnert an Baukastensysteme wie Lego oder Playmobil: Der KamerMaker (wörtlich: Raummacher) druckt gesamte Räume von 2 x 2 x 3,5 Meter Größe, die dann vor Ort zusammengesetzt werden können. So entstehen im Maßstab 1:1 ganze Bauelemente wie der Eingang mit seiner Treppe, die Toilette, das Esszimmer, die Küche, die Bibliothek usw., die jeweils so entworfen sind, dass sie ineinandergeschoben werden können. Und jeder der Räume besteht wiederum aus mehreren, einzeln gedruckten Teilen.


Show Room Canal House, © Marijke van Woerden

Das Drucken von ganzen Häusern hat laut den Amsterdamer Architekten eine Vielzahl von Vorteilen: So könnte Plastikabfall recycelt und in Druckmaterial umgewandelt werden. Transportkosten von Baumaterialien könnten signifikant reduziert werden, da nur Rohmaterial angeliefert werden müsste. Bauabfall würde wegfallen, da nur diejenige Menge an Rohmaterial geliefert werden würde, die letztendlich auch vom Drucker verarbeitet wird. Jedermann könnte kostengünstig sein eigenes, maßgeschneidertes Haus entwerfen und drucken. Die 3-D-Drucktechnik erlaubt auch den Entwurf vieler unterschiedlicher Details und Ornamente. 3-D-Drucker könnten weltweit auch zur Produktion von Notunterkünften in Katastrophengebieten und Slums eingesetzt werden. Eine weltweite Gemeinschaft von Nutzern könnte digital Dokumente austauschen und Lösungen für lokale Kontexte und Probleme entwickeln.

Wenn die Entwicklung des Produktionsprozesses und der Baumaterialien gelingt, soll das Canal House das weltweit erste Haus sein, das komplett aus dem 3-D-Drucker kommt. Es soll nach den Vorstellungen von DUS die Bauindustrie revolutionieren und längerfristig Lösungen für einen besseren Planeten bieten.

Das Baukastensysteme des Canal Hous © DUS Architects


ZUKUNFTSMUSIK
Ein Besuch vor Ort und eine Begutachtung der bisher gedruckten Teststücke aus verschiedenen Materialien und Größen machen allerdings deutlich, dass das Projekt als Experiment angelegt ist, da entscheidende Fragen wie die Steifheit des Materials, die Statik der einzelnen Bauteile und des gesamten Hauses, die Oberflächenqualität, die optische Erscheinung sowie bauphysikalische Fragen wie die des Wärmeschutzes und des Brandwiderstandsfähigkeit des Materials erst in den Kinderschuhen stecken.

Der KamerMaker funktioniert wie sein kleiner Bruder, der Ultimaker, ein kleiner 3-D-Drucker für den Bürogebrauch. Eine Zeichnung wird an den Drucker geschickt, der das 3-D-Model in druckfähige Schichten zerlegt. Zurzeit experimentiert man mit bioplastischen Materialien, die in Form von Granulaten vorbereitet, die auf rund 170 Celsius erhitzt, zu einer homogenen Masse gepresst und anschließend durch den Druckerkopf entlang der vom Computer berechneten Linien Schicht für Schicht aufgetragen werden. Nach dem Auskühlen des Plastiks entsteht ein Oberflächenbild, das an aufeinandergeklebte Bändern erinnert.

Das von Henkel entwickelte Granulat Macromelt, eine Art industrieller Leim, besteht zu 80 Prozent aus pflanzlichen Ölen und kann verschieden eingefärbt werden. Das Ziel von DUS ist es natürlich, mit nachhaltigen, aus biologischem Ursprung stammenden Materialien zu arbeiten oder selbstrecycelte Materialien wie Plastik, Holz, oder Steinschutt zu verwenden. Auf diese Weise soll in Zukunft die Hauswand oder die Gebäudedecke als ein Element mit fertiger Außen- und Innenseite bzw. Ober- und Untersicht gedruckt werden, wobei man momentan versucht, diesen doppelwandigen Elementen durch eine bienenwabenartigen Struktur die notwendige Festigkeit zu verleihen.

Verschiedene Fassadenoptionen für das Canal Hous © DUS Architects

LANDSCAPE HOUSE
Im Gegensatz zum Canal House steht die genaue Geometrie, die Produktionstechnik und das Baumaterial bei dem von Janjaap Ruijssenaars und Universe Architecture entworfenen Landscape House bereits fest. Das Gebäude mit dem Grundriss eines gleichschenkligen Dreiecks, mit dessen Bau Anfang nächsten Jahres begonnen werden soll, wird als Museum für temporäre Ausstellungen dienen, wobei der genaue Standort innerhalb Amsterdams noch nicht bekannt ist.
Die geschwungene Form geht auf die Möbiusschleife, das Möbiusband, zurück, eine typologisch gesehen unendliche zweidimensionale Struktur, die nur eine Kante und eine Fläche hat und nicht orientierbar ist. Der Name Möbiusband geht auf den Leipziger Mathematiker und Astronomen August Ferdinand Möbius zurück, der im Jahr 1858, unabhängig vom Göttinger Mathematiker und Physiker Johann Benedict Listing, diese Art von Schleife beschrieb. Im Falle des Landscape House heißt das, dass man a priori nicht zwischen unten und oben oder zwischen innen und außen unterscheiden kann und dieser Effekt durch die Drehung an den Spitzen des dreiecksförmigen Gebäudes der Boden zur Decke umgekehrt wird.

Die horizontalen Platten sowie die Krümmungen der Schleife werden gedruckt, während die Fassade aus einer Stahl-Glas-Konstruktion aufgebaut ist. Zusammen mit den Scheiben der Böden und Decken bildet diese ein steifes Fachwerk. Die in den Platten auftretenden Druckkräfte werden dabei von einem sandsteinartigen Material, bestehend aus fünf bis zehn Millimeter dicken Sandschichten aufgenommen, die mit Magnesiumoxyden (MgO) vermengt und mit einem Magnesium-Hexahydrate-Bindemittel gebunden werden. Die Aufnahme der Zugkräfte soll ähnlich wie bei Beton durch Stahlbewährungen erfolgen.


Die geschwungene Form geht auf die Möbiusschleife zurück
Visualisierung: Universe Architecture


So trägt der 3-D-Drucker, der auf einer sechs mal sechs Meter großen Aluminiumplattform befestigt ist und sich entlang von vier Aluminiumbalken nach oben bewegt, Schicht für Schicht auf und arbeitet sich langsam von unten nach oben. Dieser große 3-D-Drucker mit dem Namen D-Shape und die Drucktechnik wurden vom Italiener Enrico Dini, ebenfalls Gründer der Monolite UK Ltd, entwickelt. Alle sichtbaren Teile werden aus diesem sehr homogen und kompakt wirkenden Sandstein gedruckt, wobei auch die Treppen im Bereich der Krümmung sowie die Aussparungen für die verschiedenen Leitungen, Rohre und Anschlussknoten für die Fassadenkonstruktion in den Decken und Böden mitgedruckt werden sollen. Die Breite der Schleife (der Decken) beschränkt sich nun auf sechs Meter, was dem von Enrico Dini entworfenen Drucker entspricht. Diese Überspannung erlaubt geringere Deckenstärken und einen vereinfachten Konstruktions- und Produktionsprozess.

Universal Architecture arbeiten für dieses Projekt mit Arup zusammen, die ihrerseits bereits Prototypen erster Stahlknoten aus dem 3-D-Drucker produziert haben. Auch hier geht es darum, den Stahlknoten auf ein absolut notwendiges Minimum zu reduzieren. Janjaap Ruijssenaars hofft, dass es den Ingenieuren von Arup sogar gelingen wird, auch die Stahlkonstruktion der Fassade mit 3-D-gedruckten Stahlpfosten und -streben zu realisieren.

Unklarheit besteht zu diesem Zeitpunkt noch darüber, wie genau die Produktion des Gebäudes verlaufen wird, ob die gedruckten Teile vorgefertigt und dann vor Ort zusammengebaut werden sollen, oder ob der 3-D-Drucker, ähnlich wie man das vom Tunnelbau her kennt, mit dem Fortschritt des Bauprozesses auf Schienen verschoben wird. Ebenso muss die Gebäudehülle noch an die klimatischen Bedingungen in Amsterdam angepasst werden, wobei die Architekten grundsätzlich von einer zweischaligen Deckenkonstruktion mit einer dazwischenliegenden Isolierschicht ausgehen.

Eine Randerscheinung der Endlosigkeit der Möbiusschleife ist die Tatsache, dass auch die in den Decken geplanten Wasserleitungen der Heizung und Kühlung zu endlosen Schleifen werden und sich die Form des Gebäudes ideal zur Wärmerückgewinnung durch das Absaugen der warmen Abluft in den Decken und die Rückführung in die Böden eignet.


Schnitt und Grundriss UG © Universe Architecture

DIE FRAGE DER MOTIVATION
Beiden Projekten kann man entgegenhalten, dass man momentan dasselbe Ergebnis schneller und leichter mit traditionellen Baumaterialien und Bautechniken erzielen kann, da die industrielle (Vor-)Fertigung und die Bautechnologie enorme Fortschritte gemacht haben.

Das Canal House von DUS architects scheint ebenso ambitiös und visionär wie unrealistisch. Die Architekten unterstreichen allerdings auch, dass im Zentrum des Projekts der Prozess, also die gemeinsame Forschung, das Experimentieren und das Entwickeln, steht, nicht aber primär die Fertigstellung des Produkts. Demgegenüber steht das Landscape House von Universal Architecture, hinter dem sich ein viel geringerer ideologischer Ansatz verbirgt, das aber kurz vor seiner Realisierung steht. Ebenso stellt sich die Frage, ob man für die Realisierung eines Prototyps auf eine klassische Bautypologie zurückgreifen oder eher den Grenzbereich für den Einsatz der neuen Bautechnik testen sollte. Nicht zuletzt scheinen sich die beiden Projekte in ihrem Ansatz, zwischen einem primär konstruktiven des Landscape Hauses und einem eher formal-ästhetischen des Canal Hause, zu unterscheiden.

Stahlkonstruktion Landscape House, Visualisierung: Universe Architecture

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INTERVIEW:  NACHGEFRAGT BEI JANJAAP RUIJSSENAARS                           

Wie entstand die Form der Möbiusschleife?
Ursprünglich entwickelten wir die Form für ein Europan- Wohnbauprojekt in Gallway an der Westküste Irlands. Das Grundstück an der Küste war so außergewöhnlich schön, dass wir uns von Anfang an die Frage stellten, wie wir an dieser Stelle ein Bauwerk realisieren könnten, das sich völlig in die Landschaft integriert, sie unterstreicht und ihr huldigt, anstatt dem Landstrich einen Fremdkörper hinzuzufügen.
Den philosophischen Ansatz der Unendlichkeit der Landschaft, der Meere und Ozeane als Teil dieser Landschaft und der Erde als Kugel übersetzten wir in ein Gebäude in Form einer Möbiusschleife, das weder Anfang noch Ende besitzt und in dem der Boden zur Decke und umgekehrt wird.

Wie kam es überhaupt zur Idee, ein Gebäude aus einem 3-D-Drucker zu machen?
Wir gewannen den Wettbewerb nicht, die Faszination für das Konzept blieb aber. Deshalb griff ich die Idee später noch einmal auf und versuchte, sie weiterzuentwickeln. Es ging mir in erster Linie darum herauszufinden, ob ein derartiges Gebäude wirklich realisierbar wäre und wie so etwas im Detail aussehen würde. Die 3-D-Druckertechnologie erschien uns die beste Methode, um die geometrische Komplexität der Schleifen zu realisieren. In erster Instanz ging es nicht darum, ein Gebäude aus dem 3-D-Drucker zu schaffen, sondern eine Konstruktionstechnik für das Haus mit seiner komplexen geometrischen Form zu finden.

Zu dem Zeitpunkt kam es zur Zusammenarbeit mit dem niederländischen Mathematiker und Künstler Rinus Roelofs?
Nach anfänglichen Experimenten mit Papierschleifen verwendeten wir immer dickere, robustere und besser kontrollierbarere Materialien, um Form und Stärke der Streifen hinzubekommen. Um auch seine Machbarkeit zu testen, nahm ich Kontakt mit dem niederländischen Mathematiker Rinus Roelofs auf. Mit ihm gemeinsam entwickelten wir das räumliche Computermodell für das Gebäude. Die Prioritäten galten der Schaffung guter Rundungen an den Extremitäten mit Treppen, die eine gute Steigung besaßen, einer guten Raumhöhe und nicht zuletzt der Schaffung eines guten Raumgefühls.

Und der Kontakt zu Enrico Dini?
Die Suche nach einer homogenen, steinartigen Erscheinung des Bauwerks, so als sei es eine einzige kompakte und strukturlose Masse, führte letztlich zur Zusammenarbeit mit Enrico Dini. Rinus Roelofs hatte bereits zuvor mit Enrico Dini zusammengearbeitet. Wir wollten natürlich sehen, ob wir aus unserem Computermodell ein echtes Gebäude produzieren konnten. Enrico Dini war begeistert von der Idee, ein ganzes Gebäude mit einem 3-D-Drucker zu bauen und mit dessen technischen Möglichkeiten nicht nur komplexe Formen zu produzieren, sondern auch traditionelle Baumethoden und -techniken (wie etwa die Verwendung von Holzschalungen) zu überwinden.
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