FORUM 08/2013 – STADTGESTALTUNG – Neugestaltung Mariahilfer Strasse Wien/AT
Mehr
Straßenraum für alle
Die
Wogen gehen hoch in der Diskussion um die Neugestaltung der Wiener
Mariahilfer Straße, der wohl bekanntesten Einkaufsmeile der
österreichischen Bundeshauptstadt. Die Qualität des vorliegenden
Siegerentwurfs eines hierzu 2012 ausgeschriebenen Planungsverfahrens
würde es trotz allem verdienen, möglichst objektiv betrachtet zu
werden.
Text: Michael
Koller
Renderings: Arge Bureau B+B und orso.pitro
Das
Amsterdamer Bureau B+B für Landschafts- und Städtebau hatte sich
2012 gemeinsam mit orso.pitro – vulgo Franziska Orso und Ulrike
Pitro –, seinem Partnerbüro aus Wien, im zweistufigen
internationalen Bewerbungsverfahren zur neuen Oberflächengestaltung
der Wiener Mariahilfer Straße gegenüber 27 Konkurrenten durchsetzen
können. Auslober für die Neugestaltung der Mariahilfer Straße war
die Stadt Wien, vertreten durch die Magistratsabteilung 19 für
Architektur und Stadtgestaltung.
Im
Dialog
Eine
im Herbst 2011 unter den Bewohnern der Bezirke Mariahilf und Neubau
durchgeführte Umfrage, der sogenannte „BürgerInnendialog",
bildete die Grundlage der bei der Umgestaltung angewandten
Planungsziele. Gegenstand des Verfahrens war die Umgestaltung der
Inneren Mariahilfer Straße, jenes Straßenabschnitts zwischen
Karl-Schweighofer-Gasse sowie Stumpergasse und Kaiserstraße, was
einer Gesamtfläche von zirka 55.670 Quadratmetern entspricht. Die
Innere Mariahilfer Straße zieht sich vom Museumsplatz
beziehungsweise Getreidemarkt im Osten bis zum Neubaugürtel im
Westen, während sie jenseits des Mariahilfer Gürtels als Äußere
Mariahilfer Straße bis zur Schlossallee im Westen der Stadt
weiterverläuft. Nach den Vorstellungen der Stadt Wien soll nun die
Innere Mariahilfer Straße in eine verkehrsberuhigte Zone für
Anrainer, Käufer und Wirtschaftstreibende bzw. Arbeitnehmer
umgestaltet werden, wobei die Kernzone zwischen Andreasgasse und
Kirchengasse zu einer echten Fußgängerzone umfunktioniert werden
soll. Ziel des Entwurfs der beiden Planungsbüros war die
Umgestaltung der Mariahilfer Straße von einer gewöhnlichen
Einkaufsstraße in einen Boulevard europäischen Formats, in eine
elegante, zeitlose und komfortable Prachtstraße mit attraktiven,
grünen Aufenthaltsräumen, die je nach Jahreszeit Jung und Alt zum
Beobachten, Flanieren und Verweilen einladen soll.
Bureau B+B und orso.pitro versuchen die unterschiedlichen Geschäftszonen und Straßenraumqualitäten mit einer klaren und einheitlichen Straßenraumgestaltung zu verbinden. |
In der zweiten Wettbewerbsrunde konnten sich Bureau B+B und orso.pitro mit ihrem Entwurf gegen ihre vier Konkurrenten LAAC Architekten aus Innsbruck, Mettler Landschaftsarchitektur aus Berlin, Carla Lo Landschaftsarchitektur und AllesWirdGut Architektur, beide aus Wien, durchsetzen.
Bureau B+B baut auf rund 33 Jahre Erfahrung in der Gestaltung öffentlicher Räume, städtischer Plätze und Straßen auf und hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit international bekannten Architekten wie UN Studio, MVRDV, SeARCH oder HVDN Architecten zusammengearbeitet. Zu den Ländern, in denen B+B tätig ist, gehören neben den Niederlanden auch Frankreich und Deutschland. Die Arbeitsgemeinschaft orso.pitro (Franziska Orso und Ulrike Pitro) besteht seit 2007. Ihr Tätigkeitsfeld wiederum erstreckt sich sowohl auf Planungsarbeiten und die Teilnahme an Wettbewerben wie auf die theoretische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themenbereichen der Architektur im Rahmen der universitären Lehre und Forschung.
Die
Architektenleistungen, die beide Büros im Rahmen dieser Planung zu
erfüllen haben, umfassen neben dem Vorentwurf und Entwurf die
Ausführungsplanung und künstlerische Oberleitung.
Einkaufsmekka
Die
Innere Mariahilfer Straße inklusive Neubaugasse liegt umsatz- und
flächenmäßig deutlich vor dem „goldenen U" (Kärntner
Straße, Graben, Kohlmarkt) und ist – so gesehen – die größte
Geschäftsstraße Wiens, sogar Österreichs.
Zur
Einzelhandelsverkaufsfläche von rund 180.000 Quadratmetern kommen
noch etwa 20.000 Quadratmeter im einzelhandelsbegleitenden Angebot
(primär Gastronomie) hinzu. Wie bedeutend die Mariahilfer Straße
ist, zeigt, dass sie mit den selbst noch vor der SCS (mit rund
130.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, wenn die im Umfeld liegenden
Fachmärkte nicht mitgezählt werden) rangiert. Auf der Mariahilfer
Straße werden zirka ein Viertel aller Umsätze der Wiener
Hauptgeschäftsstraßen und etwa zehn Prozent des gesamten Wiener
Einzelhandelsumsatzes erzielt. Die kontinuierliche Umsatzsteigerung
seit 1995 ist vor allem auf die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten,
aber auch auf die Verdrängung umsatzschwacher Betriebe
zurückzuführen. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die
Verdrängung traditioneller Wiener Spezialgeschäfte durch – meist
internationale – Ketten.
Gestaltungselement: Asymmetrie
Die
Mariahilfer Straße ist eine sehr differenzierte Einkaufsstraße mit
vielen verschiedenen Gesichtern. Sie belebt die umliegenden Bezirke
und wird von ihnen belebt. Deshalb besteht das zentrale Anliegen der
Planungsgemeinschaft darin, die unterschiedlichen Geschäftszonen und
Straßenraumqualitäten mit einer klaren und einheitlichen
Straßenraumgestaltung zu verbinden. In erster Instanz ging es für
das Team darum, aus den vielen und unterschiedlichen Wünschen der
Stadt einerseits und der Anrainer andererseits eine Synthese zu
formulieren und daraus einen homogenen, übersichtlichen und
funktionellen Entwurf zu schaffen, der sich auf wenige, klare und
essenzielle Gestaltungselemente konzentriert: die Straßenführung,
den Bodenbelag, die Beleuchtung, die Möblierung und die
Implementierung von Wasser und Grün.
Die
Planer stellen ein asymmetrisches Straßenprofil vor, das es erlaubt,
beidseitig abwechselnd großzügige Plätze einzurichten, die
unterschiedlich bespielt und gestaltet werden können. Damit
antworten sie auf den Wunsch des Auslobers nach der Schaffung neuer
Aufenthaltsräume und konsumfreier Zonen, die zur Steigerung der
Aufenthaltsqualität führen und zum Verweilen einladen sollen.
Das zentrale Problem der aktuellen, also bisherigen Straßengestaltung liegt in den unzähligen und verschiedenartigsten Gestaltungselementen, die die Straße zwar beleben, während der Stoßzeiten aber auch erheblich zu deren Verstopfung beitragen: Telefonzellen, Mülleimer, Litfaßsäulen, Bänke, Fahrradständer, Bushaltestellen, Schanigärten usw. Um der in einer Bürgerbefragung hervorgegangenen Forderung nach Gärten, Brunnen, Grünflächen, Spielflächen und altersdifferenzierten Sitzflächen nachkommen zu können, müssen all diese Elemente erst einmal nach ihrer Relevanz geordnet und ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden.
Die beiden Planungsbüros entwickelten ein System von Straßenmöbeln – im Prinzip aus Granit und Holz –, sogenannte Dialogmöbel, die je nach Ort und Funktion adaptiert und unterschiedlich ausgeführt werden können. In Anlehnung an die Albertinische Wasserleitung, die einst durch die Mariahilfer Straße führte und auch die nun unterschiedlichen vorgesehenen Brunnen erklärt, sollen einige dieser Sitzmöbel als Wassertische ausgebildet werden. Diese neuen Brunnen werden den Vorstellungen der Planer entsprechend letztlich durch das wiederaufbereitete Grund- und Regenwasser gespeist werden. An anderen Stellen soll eine höhere Version mit strauchartigen, farbigen Baumarten bepflanzt werden. An wiederum anderen Stellen soll eine höhere Ausführung der vorgesehenen Dialogmöbel mit farblich unterschiedlichen Zierbäumen bepflanzt werden. Dadurch ergibt sich ein bewusstes Spiel mit Grünpflanzen verschiedener Wuchshöhen und Farben zwischen den bestehenden, eher hohen und den niedrigen, neuen Möbelpflanzen. Neben den Sitzbänken rund um diese neuen grünen „Lungen" sind auch einfache oder doppelte, etwa 50 Zentimeter hohe Sitzblöcke vorgesehen.
Die Planer stellen ein asymmetrisches Straßenprofil vor, das es erlaubt, beidseitig abwechselnd großzügige Plätze einzurichten, die unterschiedlich bespielt und gestaltet werden können. |
Gemeinsam nutzen
Der
Wunsch des kommunalen Auftraggebers ist es, den Straßenraum und
dessen Oberflächen nach dem Shared-Space-Prinzip zu gestalten und
diesen ohne bauliche Abtrennungen der gleichzeitigen Nutzung durch
Auto-, Bus-, Radfahrer- und Fußgängerverkehr zu überantworten.
Dieser Forderung versuchen die Planer nun durch eine fünf bis sechs
Meter breite und um etwa drei Zentimeter abgesenkte Fahrbahn gerecht
zu werden, die einerseits von den öffentlichen Bussen und vom
morgendlichen Lieferverkehr und andererseits von Radfahrern benutzt
werden kann. Während der Busverkehr allerdings nur in einem
Einbahnsystem erfolgt, hat man zwei rund 1,5 Meter breite Fahrbahnen
in beide Richtungen für die Radfahrer vorgesehen.
Durch das Wegfallen der bisherigen Parkstreifen wird zusätzlicher Raum für die Fußgänger frei, der dann laut den Architekten als schneller, da ohne behindernde Einrichtungen ausgeführter nutzbarer Gehbereich zusätzlich zur Verfügung stehen soll. Auf diese Weise entstehen neben den Zonen für Kraftfahrzeuge und Radfahrer noch zwei weitere Zonen für jene Menschen, die zu Fuß unterwegs sind: eine davon entlang der Schaufenster zum Flanieren, eine weitere entlang der Fahrbahn, die dem rascheren Weiterkommen vorbehalten ist. Dieser zusätzliche Raum schafft außerdem einen größeren Handlungsspielraum bei der neuen Aufstellung von Schanigärten und Dialogmöbeln.
Bureau B+B betont, dass ab dem Zeitpunkt, an dem sich Fußgänger mit Radfahrern und Bussen bzw. Zulieferfahrzeugen die Verkehrsflächen teilen und sie diese gleichzeitig nutzen, eine visuelle Differenzierung zwischen Fahrbahn und Fußgängersteig von großer Wichtigkeit sei. Dies ist auch der Grund dafür, dass zusätzlich zur Absenkung der Fahrbahn die dort vorgesehene Verwendung eines kleineren Steinformats bei der optischen Unterscheidung der diversen Bereiche helfen soll. Von großer Wichtigkeit ist es daher auch, im Rahmen dieser Umsetzung des Shared-Space-Prinizps Linienführungen als Orientierungshilfen für die Fußgänger vorzugeben. Ergänzt wird die asymmetrisch geführte abgesenkte Fahrbahn noch durch den Verlauf des Randsteins sowie durch eine zirka einen Meter breite Rinne aus Granitstein mit einer leichten Einbuchtung für die offene Entwässerung.
Im Bewirtschaftungsplan wird ein Farbenkatalog für Schirme, Stühle, Tische, Windschirme für Cafés, Restaurants und Geschäfte entwickelt. |
Homogenes
Straßenbild
In
den Niederlanden etwa ist die Erstellung eines Bewirtschaftungsplans
selbstverständlich. Ziel eines derartigen Planes ist die Entwicklung
eines bestimmten Farbenkatalogs für Schirme, Stühle, Tische,
Windschirme usw., aus dem Café-, Restaurant- und Geschäftsinhaber
dann das von ihnen eingesetzte Mobiliar auswählen können. Auf diese
Weise soll eine gewisse Homogenität und visuelle Ruhe zwischen all
den Möbeln, die den Straßenraum beleben, geschaffen werden, ohne
dabei jedoch die Individualität und die Identität der
Gastronomiebetriebe zu beeinträchtigen. So haben B+B im Rahmen ihres
Entwurfes etwa den gastronomischen Betrieben der Innenstadt von
Maastricht die Verwendung von Korbmöbeln vorgeschrieben. Angesichts
der Verschiedenartigkeit der eingesetzten Produkte, die der Markt zu
bieten hat, entstand trotz dieser doch strengen Vorgabe ein durchaus
sehr differenziertes und lebendiges Straßenbild.
Ein
einheitlicher Bodenbelag aus Granit soll in Zukunft für eine
zeitlose und elegante Ausstrahlung sorgen und die verschiedenen
Funktionsflächen der Straße zu einem gemeinsamen Raum verbinden. Um
der Forderung nach Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit nachzukommen,
entschieden sich die Planer, den vor Ort bereits an mehreren Stellen
verwendeten heimischen Granit aus dem oberösterreichischen
Mühlviertel wiederzuverwenden und den Bestand durch neu zu
gestaltende Bereiche unter Verwendung eben dieses Granits zu
ergänzen. Eine Entscheidung, die nicht zuletzt auch im Respekt vor
der Geschichte des Ortes begründet ist – dieser Granit wurde schon
während der Monarchie in den großen Städten des Kaiserreichs
verwendet – und andererseits in den kurzen Lieferzeiten, was
letztlich der heimischen Granitindustrie zugute kommen wird.
Überwindung
der Emotionen
Die
größte Herausforderung für die Planer besteht nun darin, das
gewünschte Shared-Space-Prinzip an den Bestand anzupassen und in der
Folge umzusetzen. Erfahrungen aus vergleichbaren und bereits
realisierten Projekten haben Bureau B+B gezeigt, dass dieses Prinzip
vor allem für sehbeeinträchtigte Menschen nicht ideal funktioniert.
Grund genug, selbst im Laufe der vergangenen Jahre Systeme zu
entwickeln, die durch die strategische Platzierung von Straßenmöbeln
und eine subtile Straßenraumzonierung denselben Effekt wie das
berücksichtigte Shared-Space-Prinzip erzielen. Zusätzlich ist der
intelligente und effiziente Umgang mit dem für die Fußgänger frei
werdenden Straßenraum ein zentrales Anliegen der Planer.
Die
Veranstaltung eines BürgerInnendialogs ist trotz harscher Kritik aus
den Reihen der Anrainer aus Sicht der Planer für die Abwicklung
eines solchen Planungsprozesses sowohl für die Stadt als auch für
die Planer die ideale Vorgangsweise und an sich auch ein Indiz für
die qualitativen und ernstzunehmenden Intentionen dieses Projekts.
Angesichts der bereits im Vorfeld äußerst emotionalen Diskussionen
und kursierenden Kommentaren zu den diversen Pressemeldungen wird
deutlich, dass selbst eine so gut und langfristig geplante städtische
Intervention letztlich nicht gänzlich objektiv geführt werden kann.
Es bleibt nur zu hoffen, dass der vorliegende Entwurf durch die
Rücksichtnahme auf zahlreiche negative Reaktionen aus der
Bevölkerung letztlich nicht allzu verwässert wird und schließlich
an Kraft verliert.