FORUM 01/2013 - BAUEN – Hochhauskomplex "De Rotterdam", Rotterdam/NL
Die vertikale Stadt, die niemals schläft
Im „Manhattan an der Maas“,
wie Stadtplaner, Politiker und Architekten eine Landzunge jenseits des
Rotterdamer Stadtzentrums selbstsicher und optimistisch nennen, wurde am 15.
November vergangenen Jahres die Erreichung des höchsten Punktes des Hochhauskomplexes
De Rotterdam gefeiert; wie Rem Koolhaas überzeugt ist, die einzige
niederländische Stadt, in der die Bewohner für derartige innovative
Hochhausprojekte offen sind.
TEXT Michael Koller
Das durch seine Masse und Kompaktheit herausstechende Gebäude stammt aus der Feder des Rotterdamer Büros OMA – Office for Metropolitan Architecture – unter der Leitung von Rem Koolhaas selbst. Der ursprüngliche Entwurf dieses Giganten geht bereits auf die Jahre 1998–2001 zurück und wird in Zukunft den Übergang des Stadtzentrums nach Kop van Zuid markieren. Diese vertikale Stadt, wie Rem Koolhaas das Projekt bezeichnet, verweist auf die Vielfalt der verschiedenen Funktionen und Einrichtungen, die im Komplex – bestehend aus drei miteinander verbundenen Hochhäusern – untergebracht werden: Wohnen, Schlafen, Arbeiten, Vergnügen, Shoppen, Essen, Sport – alles unter einem Dach.
De Rotterdam füllt eine über Jahre als Parkplatz genützte Brache zwischen dem KPN-Hochhaus von Renzo Piano Building Workshop und dem historischen Kreuzfahrtterminal. Visualisierung © OMA |
PROMINENTE NACHBARN
De Rotterdam wird am Wilhelminapier, einer Landzunge am südlichen Maasufer,
errichtet. Damit füllt es eine über Jahre als Parkplatz genützte Brache zwischen
dem KPN-Hochhaus von Renzo Piano Building Workshop, das als erstes Hochhaus
dieser Halbinsel im Jahr 2000 fertiggestellt wurde, und dem historischen
Kreuzfahrtterminal. Mit De Rotterdam reiht sich ein weiteres Hochhaus in die
Liste der Prominenten ein: und zwar die Erasmusbrücke, ein Frühwerk von
UNStudio von Ben van Berkel, das „Luxor“-Theater von Bolles + Wilson, das
„World Port Center“ von Norman Foster + Partners, der multifunktionale Wohnturm
„Montevideo” von mecanoo, der Wohnturm „New Orleans“ mit integriertem Kino von
Álvaro Siza Vieira, das Niederländische Filmmuseum „Las Palmas“ mit dem
markanten Dachaufbau von Benthem Crouwel Architekten und nicht zuletzt das
bekannte zwischen den Hochhäusern fast verschwindende Hotel New York, das die
Spitze der Halbinsel einnimmt. In den kommenden Jahren sollen hier aber noch
weitere Hochhäuser die letzten verbleibenden Flächen auf diesem Pier bevölkern.
Der Name De Rotterdam verweist auf das gleichnamige
Flaggschiff der Holland-Amerika-Linie (HAL), womit Zehntausende von Europäern
vom Wilhelminapier aus in die USA emigrierten und das heute nach wie vor
denselben Namen trägt.
Über dem rund 30 Meter hohen Sockel, türmen sich die drei Hochhäuser mit ihren 44 Geschoßen. Zeichnung © OMA |
KOMPAKTER GIGANT
Der Komplex besteht aus drei sich eng
aneinanderschmiegenden Türme, die aus einem kompakten Sockel von rund 30 Metern
Höhe herauswachsen. Dieser sechsstöckige Gebäudeteil umfasst den großzügigen,
doppelstöckigen Eingangsbereich mit seiner um mehrere Meter zurückspringenden
und eine Arkade bildenden Straßenfassade. Unter dem Straßenniveau befinden sich
noch zwei Kellergeschoße, die den Autoabstellplätzen vorbehalten sind. Die über
dem Erdgeschoß liegenden weiteren drei Parkplatzgeschoße komplettieren die
Parkgarage auf insgesamt zirka 670 Stellplätzen. Zwei über den Parkplätzen
liegende Stockwerke bieten den diversen Freizeitfunktionen Raum. Über diesem Sockel, der das gesamte Baugrundstück
einnimmt, türmen sich die drei Hochhäuser mit ihren 44 Geschoßen, die durch
kompakte und höchst effiziente Kerne gekennzeichnet sind.
Horizontalschnitt durch die vertikale Stadt: Wohnturm links, Büroturm in der Mitte und Hotelturm rechts. Visualisierung © OMA |
VOR- UND RÜCKSPRÜNGE
In etwa 80 Meter Höhe charakterisieren markante Vor-
und Rücksprünge die „High-Rise-Teile“ aller drei Türme gegenüber den niedrigen
Bauteilen. Durch diese Verschneidungen in verschiedene Richtungen entstehen
Auskragungen und Terrassen, aber sie gewährleisten vor allem die notwendigen
Aussteifungen zur Resistenz vor dem in diesen Höhen herrschenden Winddruck. Die
größten Vor- und Rücksprünge der Fassadenabwicklung weist hierbei der westliche
Turm – der Wohnturm – mit seinen 243 Wohneinheiten auf. Die Auskragung erreicht
hier rund 8,5 Meter. Die Geschoße, die die gesamte technische Infrastruktur
aufnehmen, liegen zentral auf mittlerer Höhe der Hochhaustürme genau im
Grenzbereich der vor- und rückspringenden Gebäudeteile. Der mittlere Turm ist ausschließlich Büros
vorbehalten, während der östliche Turm im Sockelbereich einem Vier-Sterne-Hotel
der spanischen NH-Hotelkette mit rund 266 Zimmern Platz bieten wird. Die
Geschoße darüber sind ebenfalls für eine Büronutzung vorgesehen.
Die Auskragungen erreichen letztendlich über Diagonalen im Gebäude, die über zwei bis vier Ebenen reichen und ein Dreieck mit den Decken ausbilden, ihre Stabilität. Um diese statische Herausforderung technisch zu lösen, wurde eine freitragende Unterkonstruktion aus raumhohen Stahlfachwerkträgern errichtet. Die Stahlfachwerkträger werden punktuell gelagert und im massiven Betonkern sowie in den Betonwänden verankert. Um die hohen Punktlasten der Einzelauflager der Fachwerkträger in die Betonkonstruktion abzuleiten, kamen großdimensionierte Stahlträger aus HEM-1.000-Profilen zum Einsatz, die wiederum in Wänden, Stützen und temporären Auflagern verankert wurden.
Die Auskragungen erreichen letztendlich über Diagonalen im Gebäude, die über zwei bis vier Ebenen reichen und ein Dreieck mit den Decken ausbilden, ihre Stabilität. Um diese statische Herausforderung technisch zu lösen, wurde eine freitragende Unterkonstruktion aus raumhohen Stahlfachwerkträgern errichtet. Die Stahlfachwerkträger werden punktuell gelagert und im massiven Betonkern sowie in den Betonwänden verankert. Um die hohen Punktlasten der Einzelauflager der Fachwerkträger in die Betonkonstruktion abzuleiten, kamen großdimensionierte Stahlträger aus HEM-1.000-Profilen zum Einsatz, die wiederum in Wänden, Stützen und temporären Auflagern verankert wurden.
Blick nach unten, im Einschnitt zwischen zwei Türmen. Foto © OMA |
Bei zwei dieser „Rucksäcke“ wurde die Unterkonstruktion nach dem Betonieren im Bereich der Diagonalen mittels Stahlzugstangen entlastet, um die Verformungen der auskragenden Decken in vertikaler Richtung zu minimieren. Die Decken wurden mit einer linearen Überhöhung ausgeführt, wodurch die Steifigkeit zusätzlich angehoben werden konnte. Auf die Fachwerksunterkonstruktion wurde schließlich der Schalboden der Deckenschalung angebracht. Im Zuge der Ausführung wurden regelmäßig Messungen der Vertikalverformung der Decken durchgeführt, um den Soll/Ist-Vergleich der berechneten Verformungen hinsichtlich der tatsächlichen Verformungen aufzunehmen. Die Ergebnisse wurden durch die bauseitigen Tragwerksplaner beurteilt und fanden in der Folge Rücklauf in die weitere Ausführung der folgenden Etagen.
Die Montage erforderte ein Höchstmaß an Arbeitssicherheit. So wurden für die
mit der Ausführung der „Rucksackkonstruktionen“ betrauten Facharbeiter im
Rahmen mehrerer sogenannter „Toolbox-Lehrveranstaltungen“ hinsichtlich des
Bauablaufs und der Sicherheit vor Ort speziell geschult. Ergebnis dieser
Maßnahme ist eine augenscheinlich saubere und geordnete, und trotz deren Größe
eine logistisch ausgesprochen gut organisierte Baustelle. Die Träger mit einer
Länge von rund 17 Metern wurden fertig montiert angeliefert und direkt vom
Lastwagen in die gewünschte Einbauposition gehoben. Hierfür wurde ein genaues
Ablaufschema der Montagearbeiten erstellt. Die Träger mussten auf zwei Grad
genau vertikal montiert werden, um horizontale Kräfte aus Schiefstellungen
einzugrenzen. Anschließend wurden die notwendigen Arbeitsböden und
Absturzsicherungen sukzessive in mehreren Ebenen montiert. Erst nach mehreren baubegleitenden Abnahmen und
Prüfungen durch die Züblin-Ingenieure wurde die Konstruktion zum Betonieren der
Decken freigegeben.
De Rotterdam reiht sich zwischen die Hochhäuser der künstlichen Halbinsel Wilhelminapier, dem „Manhattan an der Maas“, ein. Foto © OMA |
STÄDTISCHE DICHTE VERSUS MONUMENTALITÄT
Das Ziel des Entwurfs von OMA war es, nicht
Monumentalität, sondern städtische Dichte und programmatische Diversität zu
erzeugen. Die einheitliche Fassadengesatltung des De Rotterdam veranschaulicht
die Idee des sogenannten „Towerslab“, die Rem Koolhaas in seinem Werk
„S,M,L,XL“ beschreibt und die auf ein weiteres Hochhausprojekt, das er in den
Achtzigerjahren auf der gegenüberliegenden Maasuferseite geplant hatte,
verweist.
Der ursprüngliche Entwurf des De-Rotterdam-Komplexes,
bestand noch aus drei eng aneinander stehenden, sich aber nicht berührenden
Hochhäusern, bei denen jede Nutzung in deren Inneren auch durch eine
unterschiedliche Fassadengestaltung außen ablesbar war. Notwendige
Kosteneinsparungen führten letztlich zu der heutigen Form, bei der sich die
Türme nun an mehreren Stellen berühren. Diese Koppelungen erlaubten eine
vereinfachte Statik mit weniger Stützen und einem simpleren Kräfteverlauf. Das
verleiht dem Komplex bereits ein Jahr vor seiner Fertigstellung, die für den
15. November 2013 geplant ist, eine strenge und eher robuste Ausstrahlung.
Dieses Auftreten wird durch die veränderte, nunmehr vereinheitlichte
Fassadengestaltung, mit den über den gesamten Baukörper reichenden
Glaspaneelen, für die sich Rem Koolhaas nach langen bürointernen Diskussionen
letztendlich entschied, weiter verstärkt. Auch die Gestaltung der nach Westen
orientierten Balkone der Wohnungen ordnen sich diesem dominierenden
Fassadenraster unter. De Rotterdam besitzt de facto auf typologischer und
architektonischer Ebene viele Gemeinsamkeiten mit dem Projekt aus den
Achtzigerjahren.
Während die Funktionen in den Türmen weitgehend getrennt sind, stehen die Fitnesseinrichtungen, die Restaurants und Konferenzräumlichkeiten, die in den oberen Geschoßen des Sockels vorgesehen sind, den Bewohnern ebenso wie den Angestellten offen. Auch die öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten des Erdgeschoßes sollen zu einer allgemeinen Belebung des Piers und des Gebäudes selbst beitragen. Nach den Vorstellungen von Rem Koolhaas möchte die Architektur bewusst Zurückhaltung üben, die eigentliche Vielfalt und Farbigkeit dann letztlich durch die Menschen, also durch die Benutzer, eingebracht werden.
Südostseite: die drei Türme (Wohnen links, Arbeiten in der Mitte und Entspannung rechts) wachsen Stock für Stock in die Höhe. Foto © OMA |
Während die Funktionen in den Türmen weitgehend getrennt sind, stehen die Fitnesseinrichtungen, die Restaurants und Konferenzräumlichkeiten, die in den oberen Geschoßen des Sockels vorgesehen sind, den Bewohnern ebenso wie den Angestellten offen. Auch die öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten des Erdgeschoßes sollen zu einer allgemeinen Belebung des Piers und des Gebäudes selbst beitragen. Nach den Vorstellungen von Rem Koolhaas möchte die Architektur bewusst Zurückhaltung üben, die eigentliche Vielfalt und Farbigkeit dann letztlich durch die Menschen, also durch die Benutzer, eingebracht werden.
Ein derartig groß dimensioniertes Projekt birgt
mehrere Gefahren in sich: Angesichts des aktuell allgemein herrschenden großen
Leerstandes an Bürooberflächen von mehreren tausend Quadratmetern stellt sich
die Frage, ob es den Betreibern gelingen wird, die Büroräumlichkeiten auch
wirklich zu vermieten. Zum Glück hat die Gemeinde Rotterdam bereits die Miete
von rund 25.000 Quadratmetern Büroräumlichkeiten zugesichert. Damit will sie
die an anderen Punkten der Stadt verstreuten Verwaltungseinrichtungen an einem
Ort zentrieren.
Nach Einschätzungen des Leiters des Projektentwicklers
MAB, Jos Melchers, wird sich die Zahl der Benützer und Bewohner dieses am
dichtesten bebauten Grundstücks der Niederlande nach der Inbetriebnahme des
Komplexes auf dem Wilhelminapier letztlich verdoppeln. Das hat zur Folge, dass
sich die ohnedies eher schlechte verkehrstechnische Erreichbarkeit des Piers in
Zukunft noch verschärfen wird. Die Stadtväter sind also dazu angehalten, über
eine bessere öffentliche Anbindung an das Stadtzentrum nachzudenken. Zusätzlich
wurde bis jetzt noch kein überzeugendes Programm für die Entwicklung des
öffentlichen Raums zwischen diesem Hochhauscluster realisiert, ein Problem, das
wohl den dichten Hochhausvierteln weltweit gemein ist.
PROJEKTDATEN
ECKDATEN
Montage einer Rolltreppe im Atrium zwischen zwei Türmen. Foto © OMA |
PROJEKTDATEN
Wilhelminapier, Kop van Zuid, Rotterdam
Bauherr: De Rotterdam CV, Den Haag
(Joint venture MAB, Den Haag / OVG Projectontwikkeling, Rotterdam)
Architekten: Office for Metropolitan Architecture (OMA) mit Rem Koolhaas, Reinier de Graaf, Ellen van Loon
verantwortlicher
Teilhaber: Kees van Casteren
Auftrag: 1997
Baubeginn: Dezember 2009
geplante Fertigstellung: November 2013
Beratung
Bauverordnungen: ABT Bouwkunde, Velp / Delft
Statik:
Corsmit, Rotterdam
Servicetechnik:
Techniplan, Rotterdam (Büros, Hotel) / Valstar
Simonis, Rijswijk (Wohnungen, Sockel)
Fassadenbau:
Permasteelisa, Middelburg (Büros, Hotel, Sockel) /
Technisch Gevelbouw Management (TGM), Asten (Wohnungen)
Brandschutz
/ Bauphysik: DGMR, Arnhem
Lichtplanung:
Arup, Amsterdam
Ausführende
Architekten: B+M, Den Haag
Liftanlagenbau:
Kone, Den Haag
TGA:
Roodenburg, Krimpen aan den IJssel
Bauunternehmen:
Züblin, Stuttgart / Antwerpen / Vlaardingen
Blick nach Norden: von der Baustelle über die Erasmusbrücke hinweg Richtung Rotterdamer Stadtzentrum. Foto © OMA |
ECKDATEN
Höhe: 149,1m
Anzahl der Geschosse: 44
Anzahl der Geschosse: 44
Flächen:
Gesamt: ca. 160.000m²
Büros: 72.000m²
Wohnungen: 240 mit 35.000m²
(240 Wohnungen)
Hotel (285 rooms),
Kongresszentrum und Restaurants: 19.000m²
Verkaufsflächen und Flächen
für öffentliches Programm: 6.000m²
Fitnessbereich: 2.000m²
Parking: 25.000m² (für ca.
650 Fahrzeuge)
Lobby: 700m²
Ladeflächen: 300m²
Ladeflächen: 300m²