FORUM 07/2012 - PLANEN - Internationale Architektur Biennale in Rotterdam 2012 (IABR)



Bewohner bauen grüne Städte:
Gartenbau auf dem Dach im Rotterdam Central District.
© Ossip van Duivenbode


Städte bauen
Auch die diesjährige, fünfte Internationale Architektur Biennale in Rotterdam (IABR) steht ganz im Zeichen des Städtebaus und der zukünftigen Entwicklung unserer Städte. Unter dem Titel „Making City“ liegen die zwei Hauptschwerpunkt auf kleinmaßstäblichen Eingriffen in bestehenden, städtischen Gefügen und in der Realisierung nachhaltiger, grüner Projekte.
Das einleitende Statement der um den Biennale-Direktor George Brugmans angesiedelten diesjährigen Kuratoren Henk Ovink, niederländischer Minister für Raumplanung, Infrastruktur und Umwelt, Joachim Declerck vom Architecture Workroom Brüssel sowie Elma Boxel und Kristian Koreman vom Planungsbüro ZUS in Rotterdam „No Cities – No Future“ will in einer Zeit, in der bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt – Tendenz exponentiell steigend – provokativ auf die Bedeutung der Stadtplanung und all ihrer Akteure hinweisen. Im Gegensatz zu vorhergehenden Editionen der Biennale wird allerdings – immer mit dem Verweis auf die Weltwirtschaftskrise – nicht mehr von nationalen und transnationalen Verknüpfungen der Städte gesprochen, sondern von lokalen, zum Teil mikroskopischen Interventionen, die laut den Kuratoren Vorbildwirkung für partizipative Stadt­erneuerungen darstellen.

In Zusammenarbeit mit Asu Aksoy von der Bilgi-Universität in Instanbul und Fernando de Mello Franco sowie seinen Partnern Marta Moreira und Milton Braga von MMBB Arquitetos in São Paulo wird versucht, Querverbindungen zwischen Rotterdam und anderen, sich stark entwickelnden Städten herzustellen. Die Arbeit mit diesen beiden Städten ist die Fortsetzung einer projektspezifischen Zusammenarbeit, die bereits im Vorfeld der letzten, vierten Architekturbiennale unter dem Titel „Open City“gestartet wurde.
Making City: die Hauptausstellung der IABR 2012 im NAi.
© Ossip van Duivenbode

Making City
Ausgangspunkt der Organisatoren bei der Gestaltung der Themen war die Untersuchung dreier miteinander verbundener Aspekte der Stadtplanung: die Bedeutung des Entwurfs und der Entwurfswerkzeuge, die Bedeutung des Zusammenarbeitens zwischen partizipierenden Akteuren im Prozess der Stadtentwicklung und nicht zuletzt auch die Bedeutung einer guten ­Regierung.

Aus den rund 230 Einsendungen unterschiedlichster Beiträge zum Thema „Making City“ wurden von den Kuratoren 23 in Planung oder Ausführung befindliche Projekte ausgewählt, die die Beziehung zwischen (Stadt-)Politik, Planung und Design auf neue, ungewohnte Weise ins Zentrum des öffentlichen Interesses stellen. Diese zum Teil sehr gelungenen, städtischen und soziopolitischen Experimente kommen aus so unterschiedlichen Städten wie Den Haag, Zürich, Paris, New York, Batam, Guatemala City oder auch aus dem Nil-Delta.
‚Hollandstad Inverted Metropolis‘:
die niederländische Randstadt als multifunktionales Kraftwerk.


Ökonomie, Ökologie und Demografie
Im Zeichen der drei Aspekte Ökonomie, Ökologie und Demografie werden die ausgesuchten Beispiele präsentiert. Mit der Ausstellung wird die Frage gestellt, inwieweit Businessviertel wie etwa Zuidas im Süden Amsterdams oder La Défense in Paris die Rolle als wirtschaftliche Brücke zwischen der lokalen und der globalen Wirtschaft auch in Zukunft beibehalten können, welche Wirtschaftsformen es für Städte als Alternative zum tertiären Sektor gibt, oder, am Beispiel der High Line in New York, welche neuen Möglichkeiten sich durch die Umnutzung alter Industrieinrichtungen zu einem städtischen Grünraum eröffnen.

Unter dem Gesichtspunkt der weiterhin anwachsenden Weltbevölkerung und des Klimawandels versuchen die Beispiele des Rhein-Main-Deltas, des Veneto in Norditalien oder Cantinho do Céu in São Paulo aufzuzeigen, wie zunehmend wichtiger der Aspekt der nachhaltigen Stadtplanung werden wird. Parallel dazu wird durch andere Projekte verdeutlicht, wie aus weniger Land größere Erträge erzielt werden können.

Der demografische Wandel unterschiedlicher Gebiete wird Planer und Politiker, wie Fälle in Indonesien, den Niederlanden oder Indien aufzeigen, zwingen, erstarrte administrative Grenzen zu überschreiten, neue Modelle des Miteinanderwohnens zu finden oder Innenstädte zur Gewinnung neuen Wohnraums zu verdichten.

Das massive, beinahe unüberschaubare Wachstum von Megametropolen wie Dehli oder Guatemala City fordert von den lokalen und regionalen Planern das Finden neuer raumplanerischer Strategien zur Entwicklung der städtischen Infrastruktur als Schlüsselelement zur Entwicklung nachhaltiger, kompakter und vor allem zukunftsfähiger Metropolen.
‚Infrastructural reclamation‘:
der Umbau von Bergbau-Infrastruktur in neue Wohnlandschaften.
© Amy Norris en Clint Langevin.


Die Stadt als Laboratorium
Die Hauptausstellung der IABR befindet sich auch heuer wieder im Niederländischen Architekturinstitut (Nai) in Rotterdam, einer Stadt, die immer wieder durch ihre expressive und innovative Architektur und Stadtplanung auf sich aufmerksam macht. Rotterdam bildet auch neben São Paulo und Istanbul eine der drei „Stadtlaboratorien“.

Im Fall São Paulos geht es vor allem um die Untersuchung der Mechanismen und Dynamiken in informellen Ansiedlungen wie der Paraisópolis-Favela und darum, inwieweit gezielte Arbeit an der Infrastruktur und am öffentlichen Raum diese Favelas zu echten Stadtteilen umwandeln kann. Im Falle Istanbuls steht die Frage der Begrenzung von Zersiedelung und damit die Eindämmung der Vernichtung für das Ökosystem essenzieller, stadtnaher Natur im Zentrum. In Rotterdam wiederum zeigt ZUS anhand eines bahnhofsnahen Häuserblocks, der zu Zeiten des wirtschaftlichen Wohlstands noch dem Abriss geweiht war, wie Häuser dieser Art durch die Eigeninitiative einzelner Personen oder von Vereinen zu neuem Leben erweckt werden können.

Neben der Hauptausstellung gibt es noch weitere vier Ausstellungen, die Teil der Biennale sind: „I We You Make Rotterdam“, „Smart Cities – Parallel Cases II“, „Design as Politics“ und „Making Douala“. Daneben werden auch bei dieser Ausgabe der Biennale verschiedenste Programme über den öffentlichen Rundfunksender VPRO (Vrijzinnig Protestantse Radio Omroep) unter dem Titel „The City Forever“ ausgestrahlt.

Erfrischend sind die Sichtweisen und Haltungen der jungen Planergeneration unterschiedlichster Bildungsstätten, die ihre Studentenarbeiten und Visionen von intelligenteren Infrastruktursystemen, einer integralen Wirtschaft, einer gerechteren und effizienteren Verwaltung und qualitätsvollerem Wohnen in der Ausstellung „Smart Cities – Parallel Cases II“ vorstellen.
Ein ehemaliges Eisenbahnviadukt als neuer städtischer Park:
die High Line in New York. © George Brugmans.

Das Do-it-yourself-Prinzip
Die Biennale in Rotterdam zeigt nicht wirklich neue Perspektiven oder Visionen zum Thema Stadt, Gesellschaft und nachhaltige Stadtplanung auf; Visionen, die die zum Stillstand gekommene Stadtplanung zwischen privaten Investments und öffentlicher Versorgungspolitik so sehr nötig hätte. Die tendenzielle Verherrlichung der Selbstorganisation und des Do-it-yourself-Prinzips, auf die in den meisten Projekten angespielt wird, scheint zur Lösung großmaßstäblicher Probleme der Städte wenig zu taugen. Der Aufruf, neue Politiken und eine Neuorientierung der Wirtschaft zu etablieren, der in Texten wie Diskussionen immer wieder gemacht wird, wirkt hohl, weil er nur noch deutlicher macht, dass Design allein die existierenden Probleme nicht lösen kann. Deutlich wird vor allem, dass Stadt­entwicklung und -planung eine sich in ständiger Veränderung befindende Domäne ist, die je nach wirtschaftlichen und sozialpolitischen Umständen ihre Schwerpunkte und Richtungen ändert.

Interessant scheint in diesem Zusammenhang der Diskurs von Bruce Katz, Vizepräsident des Brookings Institute und Gründer des Brookings Metropolitan Policy Program, der auf die Bedeutung der Wiedereinführung der industriellen Produktion in Ballungsräumen des Westens hinweist und das postindustrielle Modell der europäischen und amerikanischen Metropolen als Sitz der Verwaltung des Konsums als überholt ansieht. Auch er ist überzeugt, dass nachhaltige Wirtschaftsformen und Industrien die einzige Möglichkeit sind, europäische Städte als Industriestandorte wieder attraktiv zu machen.

Die Auswahl der Projekte wirft viele Fragen der allgemeinen Gültigkeit auf, wiewohl die Wahl der drei Stadtlaboratorien (São Paulo, Istanbul und Rotterdam) ein wenig willkürlich erscheint, da die drei Städte weder auf dem gleichen Kontinent liegen, von vergleichbarer Größe sind noch einen ähnlichen kulturellen, sozialen oder politischen Hintergrund besitzen.

Die Diskussion um städtische Entwicklungsstrategien wirft immer mehr die Frage nach den Entwicklungsperspektiven von Landschaft und städtischen Umgebungen auf, gerade in einem sehr verstädterten Land wie den Niederlanden. Darum darf man auf die kommende Biennale unter der Schirmherrschaft des Landschaftsplaners Dirk Sijmons mit dem Arbeitstitel „Urban by Nature“ gespannt sein, die hoffentlich das Verhältnis von Stadt und Land besser unter die Lupe nehmen wird.

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