FORUM - INTERVIEW - Strobl Architektur, Graz/AT
In ihrer Begründung zur Verleihung des Holzbaupreises 2010 für Innovative Holzanwendungen zeigte sich die Juryvorsitzende Irmgard Frank von den vielfältigen Qualitäten der Kinderkrippe in der Schönbrunngasse in Graz beeindruckt. Dem Büro Strobl Architektur aus Graz sei es gelungen, den Neubau mit viel Sensibilität und unter optimaler Ausnutzung der bestehenden Topografie in den Landschaftspark einzubinden, meinte Frank. Das Gebäude zeige, dass alle baulich konstruktiven Entscheidungen der Architekten einem Raumdenken verpflichtet seien. Als Partner seines Vaters Martin Strobl im Familienbüro führt Martin Strobl junior im Sinne entwerferischer und baukultureller Tradition weiter, was sein Vater als Teil der Grazer Schule einst begonnen hatte.
Michael Koller im Gespräch mit Martin Strobl sen. und Martin Strobl jun.
Herr Strobl, Sie waren Teil der Grazer Schule, ist sie ein Mythos, oder war sie Realität?
Strobl sen.: Sie war Realität. Zum einen war die
Zeichensaalkultur mit ihren intensiven Diskussionen für das spezielle
Klima unter den Architekten der damaligen Zeit inspirierend. Zum anderen
förderte die steirische Landespolitik die Wettbewerbskultur und schuf
so eine Plattform für die junge Architektengeneration, die den Geist der
„Grazer Schule" belebt hat.
Welche Art von Wettbewerben waren das?
S. sen.: Hauptsächlich regionale und landesweite
Wettbewerbe. Die Politik forderte damals von den Gemeinden, öffentliche
Bauvorhaben in Form von Wettbewerben auszuschreiben. Außerdem wurde
veranlasst, dass auch der Wohnbau über Wettbewerbe abgewickelt werden
musste; bei Wohnbauten ab 15 Wohneinheiten waren dann mindestens drei
Architekturbüros einzuladen. Die Anzahl der einzuladenden Büros wurde
dann entsprechend der Zunahme der Wohneinheiten weiter gesteigert.
Dadurch war unser Ansporn sehr groß.
Das war also gezielte Architekturpolitik?
S. sen.: Ja. Und diese wurde nicht zuletzt durch
Architekturexkursionen, Ausstellungen und Architekturdiskussionen
vertieft. Durch diese Initiativen ist damals so etwas wie eine
Solidarität in einem größeren Kreise von Architekten entstanden, was
aber nicht verhindert hat, dass natürlich auch kontroversielle
Diskussionen geführt wurden. Es hat auf jeden Fall ein dynamisches Klima
gegeben.
Kann man diese Dynamik wieder erzeugen, und wenn ja wie?
S. sen.: Am einfachsten ist es, sie mit Förderungen zu
steuern, sowohl im öffentlichen wie auch im halböffentlichen Bereich.
Wenn es Förderungen für Bauprojekte gibt, lassen sich Bauherren auch
leichter überzeugen, mit einem Architekten zusammenzuarbeiten. Das wurde
von der Politik damals gemacht. Förderungen für Architekturwettbewerbe
wären auch heute ein gutes Instrument, um mehr Dynamik in das
Architekturgeschehen zu bringen.
Eine Möglichkeit, auch als junger Architekt schnell zum Zug zu kommen?
S. sen.: Ja. Das System bewirkte, dass man als junger
Architekt meist relativ rasch zu verschiedenen Wettbewerben eingeladen
wurde und die Möglichkeit bekam, etwas zu realisieren. Ich bekam damals
die Möglichkeit, über meine erste Wettbewerbsteilnahme das
Rotkreuzzentrum in Deutschlandsberg zu realisieren, mit dem ich mich
auch selbstständig gemacht habe.
Waren Sie dann eigentlich auch in einem Zeichensaal?
S. jun.: Nein. Ich habe allerdings schon seit dem Beginn meines Studiums im Büro meines Vaters mitgearbeitet.
Hat Sie denn diese Atmosphäre der Zeichensäle nie interessiert?
S. jun.: Das war für mich eigentlich kein Thema. Ich war
von Anfang an in die Projekte meines Vaters eingebunden und hatte hier
ebenfalls die Möglichkeit, Projekte selbstständig zu entwickeln. So bin
ich automatisch in das Büro hineingewachsen.
Wer gehörte damals zu Ihren Vorbildern?
S. sen.: Wir orientierten uns sehr stark an den Arbeiten
von Günther Domenig und Klaus Kada. Sie waren unsere Zugpferde. Wir
haben uns aber auch an österreichischen Größen wie Roland Rainer,
Raimund Abraham oder Gustav Peichl gemessen. Auf der Hochschule hat mich
persönlich dann von den Professoren noch Ferdinand Schuster am meisten
beeinflusst.
Und international gesehen?
S. sen.: Damals war der Einfluss Le Corbusiers sehr stark.
Gegen Ende der Mittelschule hatte mich mein damaliger Zeichenprofessor
auf dessen Werke aufmerksam gemacht. Vor allem die Leichtigkeit seiner
Konstruktionen und die Lichtführungen in seinen Gebäuden haben mich
dabei besonders fasziniert. Das war eine Art von Architektur, die ich
damals aus meiner Heimat Tirol überhaupt nicht kannte.
Hatten Sie damals auch die Möglichkeit, Bauten von Le Corbusier zu besuchen?
S. sen.: Ich bin während der Ferien mit einem Freund sogar
nach Ronchamp gefahren. In der Nähe der Kirche haben wir campiert und
sind besonders früh aufgestanden, um die Kirche bei Sonnenaufgang
anzuschauen. Ich erinnere mich, dass mich die Lichtführung im Inneren
unglaublich beeindruckt hat. Von da an stand für mich fest, dass ich
Architektur und nicht Medizin studieren würde.
Gibt es innerhalb Ihres Büros eine klare Aufgabentrennung?
S. jun.: Eigentlich schon, wobei Projekte immer in
Teamarbeit entwickelt werden. Ich entwerfe sehr viel, während mein Vater
eher die Geschäftsführung und Projektabwicklung übernimmt. In der
Entwurfsphase diskutieren wir sehr viel, stellen gemeinsam die
Hierarchie der Funktionen auf und legen eine Arbeitsstrategie fest, um
zielführend arbeiten zu können. Die Funktionalität spielt nach wie vor
gerade bei öffentlichen Bauten wie Schulen, Turnhallen usw. eine
entscheidende Rolle. Ich arbeite anschließend meist die Konzepte aus,
die wir dann gemeinsam auf den Punkt bringen.
S. sen.: Mich beschäftigt auch die Frage, wie wir ein günstiges Projekt entwickeln können, ohne unser Konzept dabei verlassen zu müssen. Günstig unter dem Gesichtspunkt, dass bessere Qualität nicht unbedingt mehr kostet, sondern durch den richtigen und gezielten Einsatz der Baumaterialien und ihrer spezifischen Qualitäten erreicht werden kann, sei das nun Holz, Beton oder Stahl. Diese Suche nach der optimalen Lösung ist unsere Prämisse und dominiert auch unsere Konzepte.
S. jun.: Am Anfang unserer Zusammenarbeit sind wir vielfach zu stark von unseren Grundkonzepten abgewichen. Das war ein Problem. Denn ein Konzept ist nur dann stark, wenn es von Anfang bis Ende stimmt und auch von allen mitgetragen wird.
Kann man also sagen, dass es eine Aufgabenteilung in Projektentwicklung und Umsetzung gibt?
S. jun.: Ich habe tatsächlich einen konzeptuelleren Ansatz
als mein Vater. Durch seine Praxis kann er mich hingegen in der
Ausarbeitung der Entwürfe auf jene Punkte hinweisen, die etwa einer
speziellen Betrachtung bedürfen oder mir mögliche Lösungen für ein
spezifisches Problem aufzeigen. Entscheidend ist es aber für uns beide
immer wieder, einen Schritt zurück zu machen, um zu kontrollieren, ob
wir nicht dabei sind, das Konzept zu verlieren. Es gibt selbst bis zur
Ausführung zwischen uns sehr viele Konfliktpunkte, die aber auch
notwendig sind, damit ein gutes Projekt entstehen kann.
S. sen.: Trotz des stark konzeptuellen Anspruchs von Martin
und meiner eher pragmatischen Herangehensweise an ein Projekt finden
wir immer wieder Wege, um am Konzept festzuhalten und dennoch
kostengünstige und qualitativ hochwertige Lösungen zu entwickeln.
Gibt es auch Konflikte über die Architektursprache und Formensprache?
S. sen.: Ich glaube nicht, dass wir diesbezüglich sehr weit
auseinander liegen. Mein Sohn hat sich noch vor einigen Jahren von sehr
expressiven Formen angesprochen gefühlt. In der Zwischenzeit ist auch
er davon überzeugt, dass die Stärke eines Gebäudes in der Reduziertheit
und Klarheit liegt. Ich bin in letzter Zeit sehr von der Forderung nach
der Energieeffizienz eines Hauses bzw. dem Passivhaus geprägt.
Eines Ihrer jüngsten Projekte ist die Kinderkrippe
in der Schönbrunngasse in Graz, die nicht nur bei den Eltern und
Betreuern, sondern auch in den Medien auf großes Echo gestoßen ist. Wie
erklärt sich dieser Erfolg?
S. sen.: Wir machen alles, vom Entwurf über die
Ausschreibung bis hin zur örtlichen Bauaufsicht, im eigenen Büro. Das
ist sicherlich auch unsere Stärke und zeigt sich in der Qualität der
realisierten Projekte. Die Details werden spezifisch für jedes Projekt
entwickelt. Wir haben bei der Kinderkrippe die vielfältigen
Einsatzmöglichkeiten von Holz in seinen akkuratesten Formen aufgezeigt,
angefangen bei der sichtbaren, tragenden Struktur über die
Akustikplatten bis hin zu den Möbeln. Das schätzen die Nutzer sehr. Es
war mit ein Grund für die Zuerkennung des Holzbaupreises für innovative
Holzanwendungen. Und eine Bestätigung dafür, dass das Gebäude mehr zu
bieten hat als üblich.
Die Realisierung einer Kinderkrippe beinhaltet ein
sehr spezielles Raumprogramm. Es bedeutet doch sicherlich viel, gerade
für dieses Projekt so viel Anerkennung zu erhalten?
S. jun.: Auf jeden Fall. Der Bedeutung dieser
Planungsaufgabe für Kleinkinder, Eltern und Personal bin ich mir erst im
Nachhinein bewusst geworden. Wir hatten davor zwar schon mehrere
Schulbauten realisiert, aber noch keine Kinderkrippe. Außerdem war der
Bau als eine Art Prototyp für andere gleichartige Projekte geplant. Der
Bau von Kinderkrippen wird in Österreich in den kommenden Jahren
sicherlich stark zunehmen, weil ein großer Aufholbedarf gegenüber
anderen nordischen Ländern besteht. Die Zusammenarbeit mit der Leiterin
war sehr intensiv und für uns selbst ein ganz wichtiger und reicher
Lernprozess.
S. sen.: Um die Förderungszuschüsse zu erhalten, musste die
Kinderkrippe zu einem bestimmten Stichtag in Betrieb gehen. Zwischen
Wettbewerb und Inbetriebnahme hatten wir genau ein Jahr Zeit, ein halbes
Jahr Planungs-, ein halbes Jahr Bauzeit. Abweichend vom ursprünglichen
Raumprogramm und nach Abstimmungen mit der Leiterin, haben wir eine
Organisation vorgeschlagen, um den Kindern mehr Raum zum Spielen zur
Verfügung zu stellen und die Handhabung der Kinder mit den Spielsachen
zusätzlich zu erleichtern.
Ist die Gebäudeform eine Konsequenz des Raumprogramms?
S. jun.: Nein. Wir versuchen immer klare und leicht
nachzuvollziehende Konzepte zu entwickeln und diesen in einer
entsprechenden Architektur Form zu verleihen.
S. sen.: Daneben ergab sich die einfache, orthogonale Form
auch aus pragmatischen Gründen, da das Projekt keine
Budgetüberschreitung zuließ und das Gebäudevolumen in sehr kurzer Zeit
gebaut werden musste. Wir konnten hier beweisen, dass man mit einem
beschränkten Budget gute Architektur realisieren kann, ohne qualitative
Abstriche machen zu müssen.
War die Verwendung von Holz eine Vorgabe?
S. jun.: Ja, das war Teil des Programms, aufgrund der
Haptik und des positiven Einflusses auf die Kinder. Außerdem ist es uns
grundsätzlich wichtig, möglichst einfach zu konstruieren. Das ist Teil
unserer Architekturauffassung und zieht sich generell durch unsere
Arbeit.
S. sen.: Meiner Meinung nach besteht eine der Hauptaufgaben der
Architekten darin, die Materialien richtig einzusetzen. Dementsprechend
versuchen wir immer Materialien zu verwenden, die für das jeweilige
Projekt auch produktionstechnisch und energetisch am geeignetsten sind
und das Bauwerk bezüglich der Energieeffizienz auch intelligenter
machen.