FORUM - INTERVIEW - Atelier Kempe Thill, Rotterdam/NL
Andre Kempe und Oliver Thill © Rolf Vogel |
Klassisch, dauerhaft und gut
Nach
einem gewonnenen EUROPAN haben es die beiden deutschen Archiekten
André Kempe und Oliver Thill geschafft ihr Büro in Rotterdam zu
etablieren und sich durch ihre sachliche Architektur sukzessive eine
Position in der holländischen Architekturlandschaft zu sichern, von
wo aus sie heute auch erfolgreich in Deutschland, Österreich oder
Belgien operieren.
Michael
Koller im
Gespräch mit André
Kempe
und Oliver
Thill
Wie
seht ihr die Planungssituation hier in den Niederlanden? Sind eure
Erwartungen mit denen ihr hierher gekommen seid erfüllt worden?
Wir
sind mit der Hoffnung hierher gekommen die berühmte niederländische
Offenheit zu finden, eine Chance zu bekommen, um quasi vom
Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Diese Erwartung ist
eigentlich voll erfüllt worden. Wir sind in Büros, in denen wir
eine Chance bekommen haben, gut zurecht gekommen und haben so
ziemlich hundertprozentig unser Ding machen und Projekte auch
komplett durchführen können. Dafür ist es natürlich wichtig in
eine ganz bestimmte Art von Büros zu gehen, in Büros in denen die
Direktion nach diesem freihändlerischen Prinzip funktioniert und den
Projektarchitekten sehr viele Freiräume einräumt. Das hat
eigentlich sehr gut funktioniert und auch Spass gemacht.
Der
grosse Nachteil dagegen ist, dass die Position des Architekten im
Verleich mit Deutschland oder Österreich beschnittener ist, der
Architekt also weniger Verantwortung und damit auch weniger
Möglichkeiten hat. Wir haben letztlich gemerkt, dass wir verdammt
deutsch sind und die Projekte aussitzen wollten und den Griff auf die
Projekte voll und ganz haben wollen, einschliesslich der
Ausschreibungen, der Kosten, der Materialisierungen, etc. Das
entspricht unserer Mentalität, unserem Ethos nicht aber dem
niederländischen System. Das führt in der Praxis dazu, dass wir
eigentlich wie ein deutsches Büro arbeiten, mit einer
niederländischen Bezahlung in einem niederländischen Rechts- und
Versicherungssystem. Letztere sind verglichen mit Deutschland oder
Österreich viel softer, weil man natürlich weniger Verantwortung
trägt, obwohl wir diese gerne übernehmen würden. Dennoch hat uns
die niederlänische Offenheit sehr geholfen unser Büro zu gründen.
Wir haben es hier schon wesentlich einfacher gehabt an Aufträge zu
kommen, als das in Deutschland möglich gewesen wäre.
Kann
man sagen, dass das Unternehmertum in den Niederlanden stark
gefördert wird und junge Architekten, die ihr eigenes Büro gründen
wollen durch das System in ihrer Ambition unterstützt werden?
Ich
finde, dass das so war, aber nicht mehr so ist, dass es in den
1990-er Jahren tatsächlich diese Blühte der niederländischen
Architektur gab, sie aber heute abgelaufen ist. Dafür gibt es
verschiedene Gründe: Zum einen wurden die niederländischen
Wohnbaugenossenschaften privatisiert womit ein Art kreatives
Potenzial freigesetzt wurde und ein Interesse bestand sich durch
verschiedene Architekturen voneinander zu
unterscheiden. Damit wurde den jungen Architekten eine grosse Chance
gegeben ihre Projekte zu realisieren. Damals war es relativ leicht
nach einem gewonnen Europan oder Archiprix Fördermittel bzw. Arbeitsstipendien durch die Bildenden Künste zu erhalten. Und nicht
zuletzt gab es auch innerhalb der öffentlichen
Hand so etwas wie eine informelle Vergabe von öffentlichen
Aufträgen. Durch eine starke und erfolgreiche Netzwerkarbeit konnten
sich die Büros wie MVRDV, UNStudio oder der frühe Koolhaas relativ
einfach einen Namen aufbauen.
Die
Einführung der europäischen Ausschreibungsgesetzgebung bedeutete
dann auch für die Niederlande einen ganz grossen Einschnitt in der
Vergabe von Aufträgen. Zusätzlich gibt es zwischen den
niederländischen Wohnungsbaugesellschaften eine immer stärkere
Konsolidierung. Sie drehen eigentlich die Geldhähne
zu, werden immer konservativer und gehen stets stärkere
Liaisons mit Baufirmen ein, in denen der Architekt eher als
Störfaktor betrachtet wird. Nicht zuletzt werden die Fördermittel
immer geringer, wodurch es für junge Architekten schwieriger wird
ihr eigenes Büro zu starten.
Man
kann davon sprechen, dass es in den 1990-er Jahren eine sehr offene,
unternehmerisch gesinnte Atmosphäre gab, diese aber im Moment eher
schwieriger ist als in anderen Ländern.
Wir versuchen in der Marginalisierung des Berufsfeldes gleichzeitig so etwas wie einen künstlerischen Reichtum zu entdecken.
Eure
Wahl für die Niederlande wurde ursprünglich durch die Bekanntschaft
mit Kees Christiaanse und Willem Jan Neutelings beeinflusst. Haben
euch die beiden auch auf einem architektonischen Niveau
inspiriert?
Wir
gehörten sicherlich zu den typischen deutschen Architekten, die in
Deutschland sitzend und studierend niederländische Entwürfe gemacht
haben und sehr stark durch Koolhaas und den Neo-Strukturalismus
inspiriert waren. Erst als wir hier in den Niederlanden waren, haben
wir unsere eigene Identität entdeckt. Wenn man Architektur macht,
was doch auch ein künstlerischer Beruf ist, wird man unweigerlich
auf seine Wurzeln gestossen und bekommt sehr gut mit, wo man
eigentlich herkommt, weil man eben mit der Andersheit der Anderen
konfrontiert wird, in unserem Falle mit der der Niederländer.
Spätestens als wir am Europan mitgemacht haben, haben wir uns hart
auf den Zahn gefühlt, und uns gefragt was das Wesentliche an
uns selbst ist.
Da
ist es für uns offensichtlich geworden, dass wir klar in der
Tradition von Mies van der Rohe stehen, im Sinne der Architektur, der
Form- und Raumauffassung, der Symetrie von Gebäuden dem Umgang mit
Details, etc. Das ist so stark in uns drinnen, dass wir es nicht
negieren wollen, weil wir sonst in unserer Arbeit nicht authentisch
wären. Das heisst wir haben eine deutsche Identität, Wurzeln in der
deutschen Kultur. Dieser Background hat sich natürlich durch unser
Hiersein, durch diesen
niederländischen Rationalismus, das sehr Pragmatische darin,
eingefärbt, wodurch sich eine Art Crossover in unserer Architektur
entwickelt hat.
Das heisst wir machen heute eine Art Mix aus deutschem Klassizismus, einem Schuss deutscher Romantik einhergehend mit jener radikalen Rationalität, wie sie in den Niederlanden während der Moderne entstanden ist.
Das heisst wir machen heute eine Art Mix aus deutschem Klassizismus, einem Schuss deutscher Romantik einhergehend mit jener radikalen Rationalität, wie sie in den Niederlanden während der Moderne entstanden ist.
Ihr
seht euch selbst also als Vertreter einer klassischen Architektur?
Was bedeutet das? Welche sind die Elemente dieser Architektursprache?
Wir
versuchen uns der Elemente, die den Kern der klassischen Architektur
gebildet haben, zu bedienen und sie in zeitgenössische Architektur
zu übersetzen, was sich eben an bestimmten Dingen festmacht wie zum
Beispiel dem strukturellen Ansatz des Aufbaus des Gebäudes, also das
die Konstruktion gleichzeitig die Struktur des Gebäudes bestimmt und
gleichzeitig die Basis für die Erscheinung des Gebäudes bildet.
Genauso glauben wir, dass der symetrische Aufbau eines Gebäudes
wichtig ist, da das auch der Symetrie der meisten Dinge in der Natur
entspricht. Wir versuchen also zu ganz grundlegenden Wahrheiten
zurückzukehren, oder von denen auszugehen, bevor wir Entscheidungen
treffen, wie unsere Gebäude überhaupt aussehen sollen. Insofern
folgen wir zeitlosen Entwurfsprinzipien, die als klassisch bezeichnet
werden können, wobei wir dennoch mit den extremen Bedingungen der
heutigen Zeit operieren und diese Bedingungen nicht negieren.
So
versuchen wir ganz bewusst Materialien wie zum Beispiel Plexiglas für
grossformatige Fenster einzusetzen. Gleichzeitig versuchen wir uns
wirklich jeglicher vordergründigen Formgebung zu entziehen und
alles, was vordergründig gefällt in einem ständigen Prozess des
Abspeckens auszuschalten, da wir überzeugt sind, dass zeitlose
Gebäude so beschaffen sind. Dadurch entsteht spannende und
ausdrucksstarke Architektur, die gleichzeitig zeitgenössisch und
zeitlos ist, um zu ihrem Wesen vorzudringen.
Architektur
muss unserer Auffassung nach zeitlos, zeitgenössisch und dauerhaft
sein und nicht dem Selbstzweck dienen.
Kann
man eure Bauten, egal ob es sich dabei um Wohnbauten, öffentliche
Bauten oder Pavillions handelt mit: pur, ruhig, unspektakulär,
zurückhaltend, etc. umschreiben? Kann man so weit gehen zu sagen,
dass die Architektur in euren Projekten völlig in den Hintergrund
dessen tritt, wofür sie eigentlich gebaut ist, sie verschwindet?
Zuerst
einmal versuchen wir ganz bewusst keinen Unterschied im Programm zu
machen. Was die Präsenz der Architektur anbelangt gibt es zwei
Ebenen über die man reden könnte.
Die
eine ist die Ebene der physischen Präsenz von Architektur, die
andere die der Daseinsberechtigung von Architektur hinsichtlich der
Entwurfsmöglichkeiten. Die grundlegende Frage ist, welche
konzeptionellen Spielräume der Architekt innerhalb der
Arbeitskonstellation, innerhalb der juristischen und
versicherungstechnischen Rahmenbedingungen, also dem ganzen
Rahmenwerk, das die Architektur bedient, überhaupt hat, um
Architektur zu machen? Und welche Spielräume es innerhalb dieser
Rahmenbedingungen gibt, die diese selbst konzeptionell und
architektonisch ausdrücken? Innerhalb der Architektenschaft gibt es
ja immer wieder dieses Statement, dass der Beruf des Architekten
kontinuierlich seine Daseinsberechtigung verliert.
Dieser
Standpunkt kulminiert im niederländischen Wohnungsbau, wo
Architektur letztlich nur mehr Fassade ist. Die meisten Architekten
sehen darin kein entwerferisches, kein architektonisches Potenzial,
sondern lediglich eine Möglichkeit zur Dekoration, in der man nur
mehr Fensterflächen graphisch hin und her schiebt, oder Backsteine
in verschiedenen Farben und Formen verwendet. Das sind Dinge, die wir
recht banal finden. Wir versuchen in der Marginalisierung des
Berufsfeldes gleichzeitig so etwas wie einen künstlerischen Reichtum
zu entdecken. Gerade weil die Grundrisse des Wohnungsbaus schon
längst ausgekaut sind, wird es für uns interessant wenn es nur mehr
um die Fassade geht. Wenn man also davon ausgeht, dass die Fassade
das einzige Element ist, wo der Architekt noch etwas machen kann,
dann sollte man sie zumindest so machen, dass sie innenräumlich so
viel wie möglich bietet und gleichzeitig das Gebäude von Aussen her
bestimmt. So finden wir die Rippenhaftigkeit und Grosszügigkeit der
betonierten Tunnelschalungen im Rohbau sehr ästhetisch und uns wurde
bewusst, dass wir diese Struktur eigentlich nur erhalten und so
bemessen müssen, dass wir sie adäquat zeigen können, also mit
einem Fenster dass jeweils ein Fach dieser Struktur vollständig
ausfüllt. Wir denken, dass in dieser Strukturüberlegung die ganze
Architektur schon inbegriffen ist und man dadurch automatisch vor
jeglicher vordergründig - dekorativer Vorgehensweise gefeit ist.
Was
die Ebene der physischen Präsenz von Architektur anbelangt gibt es
ebenso den konzeptuellen Ansatz, dass die Bedeutung des Architekten
verschwindet. Das könnte man auch direkt in die physische
Erscheinung der Architektur übersetzen.
Der
Acryldom für die Kunsttriennale in Echigo, in Japan, eines unser
Lieblingsprojekte ist ein schönes Beispiel, das diese Frage auf die
Spitze treibt. Vielleicht wird gerade durch das völlige Verschwinden
der Architektur plötzlich so etwas wie eine totale, absolute
Architektur möglich.
Ich
glaube also schon, dass wir Architektur machen, die spektakulär ist,
aber auf eine viel subtilere Art und Weise, quasi hinten herum.