FORUM - INTERVIEW - Alejandro Zaera-Polo, London/UK
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Alejandro Zaera-Polo © Bito Cells |
Meister
der pragmatischen Abstraktion
Die
Wirtschaftskrise hat für Architekturbüros weitreichende Folgen. In
vielen Fällen ist sie zum Auslöser oder Verstärker einer
grundlegenden Neuorganisation und Neuorientierung der Büros
geworden. Alejandro Zaera-Polo, Mitbegründer von Foreign Office
Architects, steht heute vor dem Neustart eines eigenen Büros. Ein
passender Moment, um über neue Strategien und bleibende
architektonische und politische Überzeugungen zu sprechen.
Michael
Koller im
Gespräch mit Alejandro
Zaera-Polo
Wenn
ich die Projekte von Foreign Office Architects ansehe, ihre
Verbundenheit zur Landschaft und ihren kristallinen und
dekonstruktivistischen Aufbau betrachte, tendiere ich unweigerlich
dazu, eine Beziehung zu deinen spanischen Wurzeln herzustellen.
Inwieweit waren bisher eure Achitektursprache und eure Arbeitsmethode
von deiner Herkunft beeinflusst?
Ich
glaube, dass ich nach wie vor sehr stark vom Aufbau der spanischen
Architekturausbildung beeinflusst bin, von der Handhabung des
Entwurfs- und Bauprozesses, aber nicht von der Formensprache.
Gibt
es da so etwas wie ein spanisches Charakteristikum?
Sicherlich.
Ich denke, dass die Vielfältigkeit spanischer Architekten das
Charakteristikum ist. Die Architekturbüros sind sehr klein, es gibt
nur sehr, sehr wenige, die bis zu 20 Mitarbeiter haben. Sie sind
international gesehen völlig irrelevant.
Bedingt
durch die Bürogrößen müssen alle Mitarbeiter alles machen.
Zusätzlich sind die Bauaufgaben vielfältig, die Büros machen
alles, von der Landschafts- und Städteplanung über sozialen Wohnbau
bis hin zur Planung öffentlicher Bauten.
Das
heißt, du selbst möchtest diese Vielfältigkeit der Bauaufgaben für
deine Arbeit beibehalten?
Ich
glaube, dass dieser Ansatz in meiner Art zu arbeiten stark verwurzelt
ist. Zudem bin ich neben dem Entwurf immer noch sehr stark an der
technische Ausführung interessiert: Spanische Architekten werden
technisch so ausgebildet, dass sie statische Strukturen berechnen
können, Wissen über die bautechnische Infrastruktur, Brandschutz
etc. haben.
Es
ist nicht wie in niederländischen oder englischen Büros mit 200
Mitarbeitern, wo viele Personen einfach nur die PR machen. Die
Bürogröße ist sicherlich auch einer der Gründe, warum die
spanischen Architekten bisher nicht über ihre Landesgrenze hinaus
gearbeitet haben. Außerdem war natürlich Spanien bis vor kurzem ein
Paradies für Architekten mit vielfältigsten Betätigungsfeldern,
Projekten mit ausgezeichneter Qualität und scheinbar nie endenden
Aufträgen.
Du
versuchst also, die Projektentwicklung vom Anfang bis zur
Fertigstellung mitzubetreuen.
Ja,
wobei wir als Unternehmen nicht so groß sind. Wir sind durch die
Krise von 60 Leuten auf 30 zusammengeschrumpft, und durch die
Bürospaltung werde ich mit ca. 15 Personen weiterarbeiten.
Ein
echtes, spanisches Architekturbüro also ...
Ja,
tatsächlich.
Ich glaube zutiefst, dass es in der Architektur um die geeignete Verwendung und das Zusammenspiel von Materialien im weitesten Sinne geht.
Du
sagst zwar, dass die Formensprache von FOA nicht bewusst etwas mit
spanischer Architektur zu tun hat. Gleichzeitig sind aber die
Verbundenheit zum Ort, das formale Herauswachsen der Baukörper aus
dem Gelände, die Verwendung der Materialien und diese kristallinen
Formen ganz starke
und typische Wesenszüge spanischer Architektur.
Ich
möchte auf jeden Fall nicht deshalb als Spanier gelten. Ich bin
nicht aufgrund der Materialien, der Tektonik, der Verbundenheit zum
Baugrund oder der Technologie an der spanischen Architektur
interessiert. Was mich an der spanischen Architektur fasziniert, ist
der traditionelle Mix zwischen Pragmatismus und Abstraktion in der
Architektur, der das Resultat einer andauernden Aufklärung ist. Das
heißt, die Tradition pragmatisch und wirtschaftlich zu denken und
das geforderte Resultat zu liefern und effizient zu sein und
gleichzeitig imstande zu sein auf die Qualität der materiellen
Organisation zu vertrauen, um ein Gebäude zu entwickeln.
Wie
definierst du dann Architektur?
Ich
möchte nicht ein Architekt sein, bei dem es nur entweder um
Materialien, Typologien, die Geometrie oder um die Frage der Box
gegenüber dem Blob etc. geht. Ich bin nicht daran interessiert, in
eine dieser traditionellen und statischen Kategorien gezwängt zu
werden. Ich glaube zutiefst, dass es in der Architektur um die
geeignete Verwendung und das Zusammenspiel von Materialien im
weitesten Sinne geht. Materialien nicht allein im Sinne von Stahl,
Glas, Beton oder Ähnlichem, sondern im Sinne von komplexen
Materialien, von Materie, nämlich wie man beispielsweise Aluminium
mit der Art und Weise, wie Menschen in einem Restaurant essen oder in
einem Büro arbeiten, kombiniert. Auch die Zusammensetzung der
Menschen, die einen Raum bevölkern, ist Teil der Materialien, ist
Materie.
Den
Menschen als reine Materie zu sehen kann auch als sehr arroganter
Standpunkt gesehen werden …
Natürlich,
kann das so interpretiert werden. Für mich spielen die Menschen in
ihrem Verhalten und ihren Erwartungen eine ebenso große Bedeutung
wie die Materialeigenschaften von Stahl oder Glas, die ich für die
Gestaltung von Räumen vorschlage.
Ich
versuche, Materialien so zu verbinden, dass sie der Art und Weise,
wie Menschen in einem Restaurant essen, am besten entsprechen. Die
Nutzer sind für mich Parameter, die auf die Atmosphäre an einem Ort
reagieren und diese gleichzeitig aktiv kreieren. Der Mensch an sich
ist ja sehr komplex und wird von einer Vielzahl von Parametern wie
seiner Kultur, dem Klima, in dem er lebt und aufgewachsen ist, sowie
seinen persönlichen Erfahrungen geformt.
Das
ist ein sehr inklusiver Planungsansatz. Aber glaubst du, dass der
Benutzer deiner Architektur all diese Überlegungen und Parameter,
die du in deinen Entwurf einfließen lässt, vor Ort bewusst
wahrnimmt?
Nein,
nicht unbedingt, aber ich glaube, dass er sie fühlt – hoffentlich.
Architektur ist ja keine Kunst, die man auf ein Podium stellt oder
wie ein Gemälde in einer Galerie betrachtet. Für mich ist diese
permanente und unbewusste Präsenz das Spannendste an der
Architektur. Ich würde es hassen, wenn Leute unsere Gebäude wie
Ikonen betrachten. Ich bin der Meinung, dass Architektur nicht
bewusst wahrgenommen werden muss. Wir sind von Natur aus von
Architektur umgeben, alles ist Architektur.
Wenn
man aber den Yokohama-Terminal betrachtet, bekommt man doch den
Eindruck, dass ihr auch ikonografische Architektur macht.
Gerade
das Gegenteil ist der Fall: Man kann das Gebäude von außen
eigentlich überhaupt nicht sehen. Das ist ein gewisses Problem, weil
Politiker solche Projekte gern herzeigen würden. Das
Technologie-Zentrum in Rioja beispielsweise ist bei der Ankunft nicht
einmal sichtbar. Es entwickelt sich erst nach dem Eintritt ins
Gebäude. Auch der Meydan-Retail-Komplex in Istanbul ist Teil der
Landschaft. In manchen Fällen, wie zum Beispiel beim John Lewis
Department Store, ist es natürlich so, dass der Auftraggeber ganz
bewusst eine Ikone, ein Landmark von uns verlangt.
Als weltweit operierendes Büro haben wir uns letztlich nie die Frage gestellt, wie lange das Wachstum anhalten wird. Plötzlich finden wir uns in einer Situation wieder, wo die ganze Infrastruktur, die den grenzenlosen und liberalisierten Kapitalismus bedient, zum Stillstand gekommen ist.
Kritiker
behaupten, dass wir in der Baubranche heute nicht nur mit einer
Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, sondern auch mit einer tiefen
Krise innerhalb des architektonischen Schaffens. Glaubst du, dass das
stimmt? Ist da etwas Wahres dahinter?
Ein
bisschen. Ich war Student einer Architekten- und
Professorengeneration, die politisch sehr engagiert war. Ende der
1960er-Jahre haben sie Politiker und Projektentwickler gehasst, da
Letztere ihrer Meinung nach nur am politischen oder finanziellen
Profit interessiert waren, und forderten eine soziale und
intellektuelle Revolution. Das waren in der Tat sehr interessante
Menschen, aber wir haben sie natürlich aus Prinzip kritisiert und
ihre Ansichten infrage gestellt. Das ist völlig normal so, es wäre
ungewöhnlich, wenn es anders wäre. In der gleichen Art und Weise
haben mich Studenten am Berlage-Institut sicherlich während meiner
zehnjährigen Leitung als pragmatischen Besserwisser kritisiert, aber
das ist auch okay, das ist normal. Das Problem mit der
Wirtschaftskrise ist, dass sie das ganze System, auf das die
Performance unseres eigenen Büros wie auch das von Ben van Berkel
oder Rem Koolhaas aufgebaut war, zum Einsturz gebracht hat. Als
weltweit operierendes Büro haben wir uns letztlich nie die Frage
gestellt, wie lange das Wachstum anhalten wird. Plötzlich finden wir
uns in einer Situation wieder, wo die ganze Infrastruktur, die den
grenzenlosen und liberalisierten Kapitalismus bedient, zum Stillstand
gekommen ist.
Bist
du jemand, der an die soziale und politische Verantwortung der
Architekten glaubt?
Ich
bin bis zu meinem zehnten Lebensjahr in einer Diktatur aufgewachsen.
Die darauffolgende Demokratie war für viele in Spanien und auch für
mich eine große politische und ideologische Enttäuschung. Gerade
weil ich gesehen habe, wie die sogenannten Linken und Liberalen zum
Teil sehr korrupt und demagogisch wurden, entwickelte ich eine
zunehmend pragmatischere Einstellung gegenüber der Meinung, dass
allein die Politik und die Ideologie ein Land grundlegend verändern
kann. Ich habe miterlebt, wie Leute, die nach Europa gegangen sind,
um Finanzen für die Verbesserung der spanischen Infrastruktur
aufzutreiben, und die begonnen haben, Holiday-Resorts an der
spanischen Küste zu entwickeln, das Land viel stärker und
grundlegender verändert haben als politische Ideologien. Deshalb bin
ich sehr skeptisch darüber geworden, dass Architektur einen
politischen Inhalt, ein ideologisches Statement sein muss.
Und
dann hast du plötzlich selbst als Dekan des Berlage-Instituts und
als Professor und Vortragender an verschiedenen Universitäten eine
sehr edukative und gewissermaßen auch ideologische
Rolle gespielt.
Tatsächlich
wuchs ich im Laufe der Jahre, verursacht durch unsere steigende
internationale Anerkennung, auch in die Rolle des Kritisierten. Das
war für mich nicht nur eine neue, sondern auch sehr spannende Rolle.
Als Student dachte ich immer, dass meine Professoren die wirklich
wichtigen und essenziellen Dinge, die die Gesellschaft benötigt und
die Architektur ausmachen, nicht sehen konnten. Und nun wurden mir
als Vortragenden und Ausbildenden dieselben Dinge vorgeworfen. Ich
war sehr von der Reaktion junger Studenten auf die Dinge, die meine
Generation bewirkt hat, die ich repräsentiere, fasziniert. Das hat
mich natürlich auch gezwungen, meine Argumente gegenüber mir selbst
stärker und klarer zu formulieren, um auf die Fragen und Erwartungen
der neuen Planergeneration zu antworten.
Und
es hat mich auch gezwungen, manche meiner Ansichten anzupassen und zu
verändern. Aber ich versuche ganz bewusst, diesen Dialog mit der
neuen Generation offen zu halten, weil in ihrer Sichtweise immer auch
etwas Wahres verborgen liegt und ich vielleicht gerade durch meine
Erfahrung für manche ihrer Kritiken und Analysen blind geworden bin.
Das
klingt aber nicht so pragmatisch, ganz im Gegenteil.
Ich
glaube, dass der Pragmatismus, den ich aufgrund meiner persönlichen
politischen Erfahrung entwickelt habe, mich ganz stark mit anderen
Architekten wie Winny Maas oder Ben van Berkel verbindet. Es ist der
Pragmatismus, sich darauf zu konzentrieren, das zu liefern, was vom
Auftraggeber gefragt wurde, ohne zu versuchen, große, ideologische
Philosophien zu realisieren.
Du
stehst heute vor dem Neubeginn deines Büros. Wie siehst du deine
Zukunft? Was wirst du tun? Gehst du nach Spanien zurück?
Das
ist nicht meine Intention. Ich habe noch keine Ahnung. Das ist gerade
das Spannende an meiner Situation. Alles ist möglich.