FORUM - INTERVIEW - Ben van Berkel



Ben van Berkel © K. Breukel

Eine Frage der Organisation
Erstmals machte Ben van Berkel durch den Bau der Erasmus-Brücke 1996 in Rotterdam auf sich aufmerksam. Seit damals haben van Berkel und Caroline Bos – heute UN Studio – mit weiteren Infrastrukturbauten, Einkaufszentren, Theater- und Museumsbauten sowie privaten Villen gezeigt, dass sie alle Programmregister beherrschen. Sie haben sich mit ihrer richtungsweisenden Architektursprache eine Position unter den bedeutendsten Architekten der Welt gesichert.

Michael Koller im Gespräch mit Ben van Berkel

Seit wann gibt es bei Ihnen eine Verbindung zu Österreich?
In den Siebzigerjahren war ich als Kind sehr häufig mit meinen Eltern in Österreich auf Urlaub. Ich komme aus einer Musikerfamilie, da war es für meine Eltern nur logisch, mit uns Kindern nach Salzburg oder Wien zu fahren, um uns auch in Konzerte mitzunehmen. Und auch deren Begeisterung für die österreichische Bergwelt ist mir erhalten geblieben.

Und seit wann haben Sie Kontakt mit der österreichischen Architekturszene? Wenn man die Arbeiten von UN Studio betrachtet, sieht man da eine gewisse Verwandtschaft etwa mit Coop Himmelb(l)au, Günther Domenig oder Delugan Meissl. Haben Sie sich von österreichischen Architekten inspirieren lassen?
Als ich zu Beginn der Achtzigerjahre zu studieren begonnen habe, war jeder von den ersten Arbeiten Peter Cooks und vor allem Zaha Hadids begeistert. Ich war besonders an den Netzwerken Peter Cooks interessiert. Er war es auch, der Anfang der Achtzigerjahre die Grazer Schule und deren experimentelle Arbeiten entdeckte. Rund um Günther Domenig, Coop Himmelb(l)au und Haus-Rucker-Co gab es damals junge Architektengruppen, die sehr experimentell zwischen Kunst und Architektur arbeiteten und damit unsere Aufmerksamkeit erregten.
Domenig, den ich später einige Male getroffen habe, sah mich als Teil einer Gruppe, die an ähnlichen Sujets interessiert war wie er. 1983 hatte ich auch schon über die konzeptuellen Arbeiten Coop Himmelb(l)aus wie das „Haus mit dem fliegenden Dach” oder „Architektur muss brennen” Beiträge geschrieben.
Aber der Großteil meines Interesse für österreichische Architekturgeschichte entstand zwischen 1982 und 1987, meiner Zeit an der AA in London. Damals habe ich viel über Adolf Loos und Otto Wagner recherchiert, über deren Bauten und theoretischen Texte.


Stammen Ihre ersten Experimente mit offenen, fließenden Räumen und verschiedenen Ebenen aus dieser Zeit?
Im Werk von Loos wird sehr deutlich, dass er daran interessiert war, wie organisch und räumlich spektakulär man den Grundriss eines Gebäudes organisieren kann. Die österreichische Architekturgeschichte wird durch eine beinahe freudianische Interpretation des Verhältnisses zwischen Körper und Architektur gekennzeichnet. So etwa im Werk von Loos beim Einsatz der dramatischen Komponente Marmor im Badezimmer; Marmor spiegelt hier als Material den sinnlichen Aspekt des menschlichen Körpers wider. In diesem Aspekt zwischen menschlichem Körper und gebautem Raum liegt für mich die eigentliche Faszination der Architektur. Ein Aspekt, den ich in der zeitgenössischen Architektur sehr vermisse. Wie ist es möglich, dass diese Tradition in der Architektur verlorengegangen ist? Wir möchten diese Sensualität zurückgewinnen. Ohne den Menschen gibt es keine Architektur! Architektur ist in gewisser Weise jener Spiegel, auf dem jeder sein eigenes Bild aufbaut.
Diese Auffassung beinhaltet aber auch, dass die Beziehung zwischen Mensch und Architektur, diese Kommunikation, eine unvollendete Verbindung darstellt. Das ist meine große persönliche Faszination in der Architektur im Allgemeinen und der österreichischen im Speziellen. Und diese zieht sich auch wie ein roter Faden durch unsere Architektur.

Uns geht es darum, einen Weg zu finden, in dem der funktionelle Strang nicht mehr parallel zum ästhetischen verläuft , sondern beide miteinander verschmelzen.

Halten Sie das österreichische Architekturschaffen nach wie vor für innovativ?
Die Situation in Österreich ist ähnlich wie in Deutschland: dort, wo die Prozesse schwierig und die Regeln kompliziert sind, fällt es schwer, zeitgenössische und erneuernde Ideen zu produzieren. Das heißt, wenn die Ausbildung an sich nicht experimentell orientiert ist, ist es natürlich nicht leicht, diesen experimentellen Charakter auch in der Praxis umzusetzen, darin liegt das Problem. In den Niederlanden haben alle Architekturbüros, die experimentelle Architektur machen oder sich sehr stark in der Forschung betätigen, wie Rem Koolhaas oder MVRDV internationale Erfahrungen gesammelt. Sie versuchen mittels dieser internationalen Erfahrungen die in den Niederlanden gebräuchlichen Abläufe zu durchbrechen. Dieses Phänomen sieht man in Österreich weniger, weshalb ich es für wichtig erachte, dass man hierzulande viele internationale Architekten zum Bauen einlädt. In den Achtzigerjahren war die Situation in den Niederlanden eine vergleichbare. Damals gab es natürlich viele Diskussionen über die Sinnhaftigkeit solcher Projekte, aber später waren eigentlich alle Architekten froh darüber, weil die Konkurrenz auf diese Weise einen Dialog in der eigenen Architekturkultur in Gang gesetzt hat.

Haben Sie den Eindruck, dass das Niveau des technischen Know-hows bzw. die Planungs- und Baubedingungen zur Realisierung unkonventioneller und innovativer Bauten in Österreich gut sind?
Wenn man die Situation mit den Niederlanden vergleicht, ist die Bausituation in Österreich wirklich beeindruckend. Ich bin mit den Resultaten meiner zwei gebauten Projekte in Innsbruck und Graz äußerst zufrieden. Zu Beginn sagte jeder, dass es unglaublich schwierig sei, dort zu bauen, weil der Architekt das gesamte Projekt leitet und dadurch sehr viel Eigenverantwortung übernimmt. Da ich natürlich nicht jede Woche auf der Baustelle sein kann, ist ein kompetenter Projektleiter vor Ort für mich äußerst wichtig. Aber letztlich ist es mir lieber, einen schwierigen Bauprozess mit einem guten Resultat zu haben als einen angenehmen Prozess, der letztlich zu einem schlechten Resultat führt.

Wie sehen Sie die Tatsache, dass man in Österreich erst nach mehrjähriger Berufserfahrung und nach Ablegung der Ziviltechnikerprüfung sein eigenes Büro gründen kann?
Ich habe oft und viel bei Architekten gearbeitet, bevor ich mein eigenes Büro eröffnet habe. Ich bin überzeugt, dass das Sammeln von Arbeitserfahrung sehr wichtig ist. Das ist so wie mit dem Violinespielen, wenn du nicht jeden Tag übst, kannst du einfach nicht gut sein. Die Ausbildung ist Teil dieses Prozesses, aber erst die Übung macht den Unterschied und ermöglicht es, auf der Höhe der Entwicklung zu bleiben und fortwährend zu lernen. Das ist entscheidend.

Warum haben Sie sich für eine künstlerische und eher konzeptionelle Ausbildung an der AA entschieden und nicht eine klassische technische Ausbildung an einer technischen Universität gewählt?
Das hat damit zu tun, dass ich meine Grundausbildung an der Rietveld Akademie absolviert habe. Ich habe dort mit bildender Kunst begonnen, dann mit künstlerischer Gestaltung weitergemacht und zuletzt mit Innenarchitektur abgeschlossen. Verschiedene Dozenten an der Akademie haben mir davon abgeraten, nach dem Abschluss an die TU Delft zu gehen, um nicht von der trockenen technischen Seite der Architektur abgeschreckt zu werden. Sie empfahlen mir eine eher künstlerische Ausbildung, eine Kombination zwischen Design, Architektur, Städtebau und Infrastruktur. Vor allem über Letztere fand damals eine sehr angeregte und breit orientierte Diskussion an der AA statt. Das waren schwierige und lange Jahre, in denen ich viel und intensiv studiert habe.

Im sinnlichen Aspekt zwischen dem menschlichen Körper und dem gebauten Raum liegt für mich die eigentliche Faszination der Architektur.

Welche anderen Philosophien bestimmen die Architektur von UN Studio?
Es geht uns nicht primär darum, dass unsere Arbeiten schön oder organisch sind. Die Essenz unserer Architektur liegt in der Frage nach ihrer Organisation. So muss man auch die verschiedenen geometrischen Formen verstehen, die wir bei unseren Projekten verwenden: Die Doppelhelix beim Mercedes Benz Museum, vom Blob-to-Box für das Mumuth in Graz oder das Soft-to-Hard bei der Villa NM. Verbunden mit der Idee des United Network, die ja auch schon im Namen unseres Büros UN Studio zum Ausdruck kommt, probieren wir verschiedene geometrische Formen und Konzepte aus, die es uns erlauben, die Konstruktion, die Infrastruktur und die Verteilung des Programms in einem inkludierenden Organisationssystem zusammenzufassen, sodass diese eine optimale Einheit bilden. Uns geht uns darum, einen Weg zu finden, in dem der funktionelle Strang nicht mehr parallel zum ästhetischen verläuft, sondern der eine mit dem anderen verschmilzt, der funktionelle zum künstlerischen wird und umgekehrt, wo also die Grenze der beiden in der Architektur nicht mehr ablesbar ist.

Bedeutet das auch, dass Sie das funktionelle und ästhetische Diagramm direkt in Architektur übersetzen?
Ja, weil die Idee der parallelen Linien natürlich dem klassischen Modell des Rasters und dem linearen, mechanischen Denken der industriellen Revolution entstammen. Wir haben nun ständig versucht, uns über dieses modernistische System hinaus weiterzuentwickeln, nicht einfach in den Post-Modernismus, sondern in Richtung einer viel integrierenderen Architektur.
Ich war immer besonders daran interessiert herauszufinden, wie der Übergang von einem linearen, rasterförmigen System zu einem ebenso effizienten, aber organischeren System aussieht. Es geht mir um das Moment der Transformation des Rasters in eine freie Form und darum, wie expressiv und einfach man diese gestalten kann. Ich bin schon an der seriellen Komponente des Raster interessiert, aber auch, um zu zeigen, dass dieser nicht das einzig mögliche Modell der Wiederholung eines Elements darstellt. Ich bin auch davon überzeugt, dass in der Mathematik viel mehr Möglichkeiten und ein viel größerer Reichtum zu finden ist als in der klassischen Geometrie. In mathematischen Systemen kann man viel inkludierendere und effizientere Qualitäten finden, die mehr architektonische Parameter aufnehmen können als zum Beispiel das Rastermodel – genau das will ich beweisen!

Sie betreiben also nach wie vor Forschungsarbeit?
Ja, aber das geschieht in Wellen, so lag etwa mein großes persönliches Interesse der letzten Jahren in den Farben, und nun orientiere ich mich eher in Richtung Mathematik und Zahlen, da ich glaube, dass dies auch in den kommenden Jahren ein wichtiges Thema werden wird.
Daneben wird sich die Arbeit von UN Studio wohl stark in Richtung ganzheitlicher und intelligenter Planungsprozesse innerhalb unserer Umwelt entwickeln, sodass wir aus den gegenwärtigen Unsicherheiten lernen und zu einer neuen Art der Wachheit gegenüber den sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen gelangen können. Auch die Frage nach dem Lernen aus der Natur wird unsere zukünftige Forschungsarbeit bestimmen, nämlich inwieweit wir Erkenntnisse aus der Natur in adaptierbare Materialien zum Einsatz an Fassaden oder zur Gestaltung flexibler Räume übersetzen können.

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