FORUM – SKIN 04/2016 – De Oversteek, Nijmegen/NL
Die Überquerung -
Brücke ‚De Oversteek“, Nijmegen, Niederlande
Wie entwirft man eine Stadtbrücke für die
nächsten 100Jahre, ein Monument, das technisch innovativ, funktionell, ästhetisch
ansprechend und nachhaltig ist, sich harmonisch in seine Umgebung einfügt ohne
sich zu verstecken und nur eine minimale Instandhaltung erfordert? Das
belgische Design- und Ingenieursteam rund um Laurent Ney und Chris Poulissen
und ihrem gemeinsamen Architektur- und Ingenieursbüro NPBridging gab mit ihrem
scheinbar einfachen Entwurf für die Auto-, Fahrrad- und Fußgängerbrücke ‚De
Oversteek‘ in Nijmegen Antwort auf all diese Fragen und Forderungen.
Text Michael Koller
Im Jahr 2008 schrieb die am Fluss Waal gelegene Stadt Nijmegen, im
äußersten Osten der Niederlande einen Wettbewerb für den Bau einer neuen Brücke
aus, um den Ring um Nijmegen und das auf der gegenüberliegenden Flussseite
gelegene Stadtentwicklungsgebiet zu erschließen.
Die Kosten des Bauwerks waren in dem zweistufigen Wettbewerb kein
Auswahlkriterium, da der Preis von Anfang an auf 140 Mio. Euro festgesetzt war.
Entscheidende Kriterien waren hingegen die Architektur (vereinfacht rund 50
Prozent der zu erfüllenden Bewertungskriterien) und die zukünftigen
Instandhaltungs- und Wartungskosten (ebenfalls etwa 50 Prozent) über einen
Zeitraum von 100 Jahren. Weder Form noch Konstruktionsart des Brückenbaus
(Balken-, Fachwerk-, Hänge-, Bogenbrücke, o.ä.) waren vorgegeben.
Das große Gewicht der architektonischen Qualität des Brückenkörpers, also
dessen Einbindung in die Flusslandschaft und die Stadtansicht Nijmegen‘s, sein
Erscheinungsbild als modernes, zeitgemäßes Bauwerk, sowie die Ausformung der
Räume auf und unter der Brücke, kamen bei der Bewertung eines derartigen
Projekts außergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit zu; „In der Regel schlagen
Kriterien dieser Art bei der Gesamtbeurteilung höchstens mit 20 Prozent zu
Buche“, bestätigt Laurent Ney, Gründer von Ney & Partner. Das
internationale Konsortium um BAM Civiel Nederland, der Firmengruppe Max Bögl
Nederland mit dem Mutterunternehmen in Neumarkt und Ney Poulissen konnte sich
mit seinem Entwurf dieser Stahlbrücke in der 2. Runde gegen ihre Konkurrenten
mit den Architekten Quist Wintermans, Zwarts & Jansma und Grimshaw
durchsetzen.
Die neue ‚Stadsbrug‘ in der Flusslandschaft von Nijmegen © Thea van den Heuvel / DAPh |
DER ENTWURF
Die genaue Lage der Brücke war zu Beginn des Projekts Thema langer
Diskussionen zwischen der Rijkswaterstad, die die Brücke weit außerhalb der
Stadt bauen und der Gemeinde Nijmegen, die sie im Gegenteil als neues
Wahrzeichen in Zentrumsnähe realisieren wollte. Rijkswaterstaat ist das
Wasserbaubüro der Niederlande und ausführende Behörde des Ministeriums für
Infrastruktur und Umwelt, das mit dem Bau und Unterhalt von Straßen,
Wasserwegen und bestimmter Eisenbahnprojekte beauftragt ist und damit für den
Bau von Dämmen, der Versorgung mit ausreichendem und sauberem Wasser und für
die Planung schnellen und reibungslosen Verkehrs verantwortlich zeichnet.
Die Stadt wünschte sich eine ‚Stadsbrug‘, eine Stadtbrücke also, eine
Brücke mit städtischer Ausstrahlung, ein Bauwerk, mit dem sich Nijmegen
identifiziert, und das man somit letztlich unmittelbar mit der Stadt in
Verbindung bringt. Eine Art Landmark am Fluss sollte entstehen, das auf die
Stadtgeschichte reagiert und keinesfalls ein banaler Infrastrukturbau werden
sollte.
Die Idee einer reinen Stahlkonstruktion für den gesamten Brückenkomplex, so
wie zu Beginn des Wettbewerbs geplant, musste Anfang 2009 nach einer ersten
Kostenkalkulation und aufgrund des hohen deutschen Stahlpreises fallen gelassen
werden. Das Entwurfsteam sah sich gezwungen, innerhalb weniger Monate sowohl
die Brückenkonstruktion als auch die Materialverwendung grundsätzlich zu
überarbeiten. Auch beim Entwurf der neuen Variante ging es um die Suche nach der
idealen Balance zwischen der Brückenkonstruktion, den einzusetzenden
Materialien und deren Eigenschaften, um die Form aller Brückenteile, die Kosten
und um die ästhetische Ausstrahlung.
Der 60 Meter hohe Bogen der Hauptbrücke spannt sich 285 Meter weit über den Fluss und ist damit die größte einbögige Stahlbrücke Europas. © Thea van den Heuvel / DAPh |
So entschloss man sich schließlich, die nördliche und südliche Vorlandbrücke
als Viadukte aus Stahlbeton auszuführen, und nur den Bogen der Hauptbücke
(Strombrücke) in Stahl zu errichten, was den Materialien auch bezüglich der
Spannweiten am besten entsprach. Durch die Aufteilung der gesamten Konstruktion
in drei Teile konnte auch das Risiko zwischen BAM für die Viadukte und Max Bögl
für die Bogenbrücke reduziert werden. Die Wahl der Bögen für die Viadukte
entstand nicht nach romantisch historisierenden Überlegungen, sondern aufgrund
klarer bau- und wartungstechnischer Argumente: die gewählte Konstruktionsart
erfordert keine Dehnfugen und erlaubte es somit, auch Angriffspunkte für
Witterungseinflüsse zu eliminieren.
Die alleine auf Druck beanspruchten Bögen verwandeln die durch Dehnung und
Schrumpfung entstehenden horizontalen Bewegungen in vertikale Verformungen,
wodurch die Bögen an den Auflagern fest eingespannt werden konnten. Zusätzlich erlaubte
die Konstruktionsart eine Vereinfachung und Reduzierung auf eine Schalung und
damit ein beschleunigtes Betonieren. Durch die Betonschalen konnte auch eine
schöne, geschlossene und durchlaufende Unteransicht der Brücke erreicht werden.
Eine wichtige Anforderung an die Konstruktion der Vorlandbrücken war jedoch die
Verwendung von Materialien für Überbau und Seitenwände, welche die Verformungen
begleiten können ebenso wie die Ausbildung vertikaler Dehnfugen. Aus diesem
Grund kam für den Überbau Schaum-/Leichtbeton zum Einsatz und für den Bau der
Seitenwände Backsteine aus dem Lehm des Flusses Waal, die hochkant gemauert
wurden. In dieser Art und Weise konnten Material und Kosten zugunsten der
Verkleidung der Seitenwände diverser Durchgänge und Aufgänge gespart werden.
Backsteine sind in der niederländischen Baukultur sehr stark verankert und auch in Nijmegen in verschiedenster Form wiederzufinden © Stijn Bollaert |
Für Laurent Ney lag die Wahl der Backsteine auf der Hand, nicht nur weil
dieses Baumaterial allgemein in der niederländischen Baukultur sehr stark
verankert ist, sondern weil Backsteine auch in Nijmegen in verschiedenster Form
wiederzufinden sind, sei es in historischen Brücken, Torbögen oder Industriebauten
des vorigen Jahrhunderts. Zusätzlich kontrastieren die Backsteine farblich und
bezüglich ihrer Oberfläche sehr schön mit dem weißen Beton der Bögen und der
gräulich schimmernden Stahlkonstruktion des Hauptbogens.
Nicht ohne einen gewissen Stolz betont Laurent Ney zurecht: „Die Verwendung
von Backsteinen war für uns eine der Antworten auf die Erwartungen der Stadt.
Außerdem wissen wir aus Erfahrung, dass Backsteine 100 Jahre halten werden und
damit ein langlebiges und nachhaltiges Baumaterial sind.“
Die Backsteine haben bei der Brücke in Nijmegen keine tragende oder konstruktive Funktion, sondern dienen als Verkleidung. © Thea van den Heuvel / DAPh |
INTERVIEW
NACHGEFRAGT BEI LAURENT NEY
Die Backsteine haben bei der Brücke in Nijmegen keine tragende oder konstruktive Funktion, sie dienen als Verkleidung. Wäre es heutzutage noch möglich eine „echte“ Backsteinbrücke zu bauen?
Die Backsteine haben bei der Brücke in Nijmegen keine tragende oder konstruktive Funktion, sie dienen als Verkleidung. Wäre es heutzutage noch möglich eine „echte“ Backsteinbrücke zu bauen?
Das ist eine berechtigte Frage! Ich bin der Meinung, dass das in erster
Linie eine Kostenfrage ist, da es heutzutage vor allem am Knowhow fehlt und
damit keine Konkurrenz am Markt besteht.
Die lange Lebensdauer und die geringen Instandhaltungskosten sprechen aber
prinzipiell für solche Bauwerke, oder?
Backstein- und Steinbrücken besitzen mit Abstand die längste Lebensdauer
und fordern die geringsten Instandhaltungsarbeiten und -kosten. Das bestätigten
mir auch Techniker der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF. Wir realisieren
nämlich gerade eine Fußgängerbrücke im südfranzösischen Albi, die an den Bögen
einer alten Eisenbahnbrücke aus Backstein fixiert ist.
Welche Faktoren bestimmen im Wesentlichen die Instandhaltungskosten und die
Lebensdauer einer Brücke?
Die Art der Brückenkonstruktion bestimmt die Materialverwendung entscheidend
und damit auch die Anzahl und Art der Brückendetails, wobei generell gilt: je
weniger und einfacher die Details, desto geringer die Angriffsfläche für problematische
Witterungseinflüsse. Bei der Ausbildung der Brückendetails muss man sich dann
wiederum die Frage stellen, was mit auftretendem Wasser passiert, ob und wohin
es abrinnt oder wo und warum sich Wasser an bestimmten Stellen ansammeln
könnte, wie Dehnfugen wo und warum vorgesehen werden müssen, etc. Grundsätzlich
sollte man auch die Oberflächen der Bauteile, also die Flächen, die mit Luft in
Berührung kommen so klein wie möglich halten.
Architekt und Ingenieur Richard J. Dietrich zieht in einem kürzlich in der
Deutschen Bauzeitung erschienen Artikel mit dem Titel: „Beton ist kein Baustoff
für Brücken!“, ein dramatisches, ja sogar alarmierendes Fazit über
Spannbetonbrücken. Inwieweit ist Beton als Baustoff für Brücken ihrer Erfahrung
nach geeignet?
Momentan müssen tatsächlich viele der Betonbrücken aus den 1950er und
1960er Jahren unter großem Zeit- und Kostenaufwand saniert oder sogar
abgerissen werden. Aus heutiger Sicht wurden diese Brücken damals nicht gut
oder konstruktiv und bauphysikalisch unzureichend ausgeführt. Ich bin mir
allerdings nicht sicher, ob zeitgenössische Betonbrücken besser gebaut werden
oder widerstandsfähiger sind, selbst, wenn das allgemein im Fach behauptet
wird. Das wird sich wohl erst in 50 bis 100 Jahren zeigen.
Was genau ist dann das Problem von Stahlbetonbrücken?
Das Problem sind die vorgespannten Stahlbetonelemente der
Spannbetonbrücken. Beim Vorspannen wird sehr viel Energie in das Tragsystem
geladen, das zu einer potenziellen Instabilität führt. Durch das Vorspannen
stehen alle Materialien unter großem Druck und ermüden daher schneller und nützen
sich schneller ab. Dadurch entsteht die Gefahr des frühzeitigen Versagens
einzelner Brückenteile. Das Problem dabei ist vor allem, dass diese
vorgespannten Bauteile plötzlich, innerhalb kürzester Zeit und ohne Vorwarnung
versagen können und sie daher potenziell gefährlich sind. Außerdem sind
Sanierungsarbeiten von Spannbetonbrücken sehr kosten- und zeitintensiv.
Die Betonschalen erzeugen eine geschlossene und durchlaufende Unteransicht der Brücke. © Stijn Bollaert |
Und das ist bei Stahl- oder Holzbrücken anders?
Bei Stahl-, Holz- oder Steinbrücken kann man defekte Teile und Risse sehen
und sie dementsprechend auswechseln oder reparieren. Bei vorgespannten
Stahlbetonelementen von Spannbetonbrücken sieht man den Zustand der
Stahlbewährungen nicht, da sie ja im Beton eingegossen sind, man kann sie also
nicht kontrollieren. Dieses Problem besteht bei Bogenbrücken natürlich nicht,
weil es keine vorgespannten Bauteile gibt und alle Bauteile nur auf Druck
beansprucht werden.
Was ist also das wichtigste beim Entwerfen von Brücken?
Das wichtigste ist, Materialien materialgerecht einzusetzen und ihre
Eigenschaften zu respektieren – egal ob bei Brücken aus Beton, Stahl, Stein
oder Holz.
Die wellenförmigen Ausbuchtungen der nördlichen Vorlandbrücke sind als mit Backstein verkleidete Balkone mit Sitzgelegenheiten ausgebildet. Skizzen: Laurent Ney |
PROJEKTDATEN
BRÜCKE ‚DE
OVERSTEEK“, NIJMEGEN, NEY & POULISSEN:
Bauherr: Stadt Nijmegen, Niederlande
Generalunternehmer: Arbeitsgemeinschaft „Stadsbrug Nijmegen”, bestehend aus: BAM Civiel B.V. (NL)
+ Max Bögl Nederland B.V. (NL)
Architekt/Entwurfsplanung:
Ney & Poulissen, Brüssel (B)
Technische Berater
(Stahlbogenkonstruktion): Leonhardt Andrä & Partner (D)
Technische Berater
(Vorlandbrücken): BAM-Infraconsult (NL)
Subunternehmer: Vorspannung DYWIDAG-Systems International B.V. (NL)
Wettbewerb: 2008 – 2009
Zuschlag: Februar 2010
Bauzeit: Mai 2011 bis November 2013
Eröffnung: 23. November 2013
Baukosten: ca. 148 Mio. EUR
TECHNISCHE DATEN
GESAMTBAUWERK:
Gesamtlänge Brücke: 1.195 m
Länge südliche
Vorlandbrücke: 5,5 Bögen mit einer Gesamtlänge von 230 m
Länge nördliche
Vorlandbrücke: 16 Bögen mit einer Gesamtlänge von 680 m
Spannweite der
Vorlandbrückenbögen: 42,50 m
Länge Hauptbrücke
(Stahlbogenkonstruktion): 285 m (größte Spannweite einer einbögigen Stahlbrücke
in Europa)
Höge des Bogens: 60 m
Brückenbreite: 25-30 m
Brückenfläche gesamt:
ca. 31.000 m²
Balkone: 8 an der Ostseite der nördlichen Vorlandbrücke
Seitenwandverkleidung:
550.000 Backsteine (Type „Flamenco‘, mit Lehm aus dem Fluss Waal)
TECHNISCHE DATEN
VORLANDBRÜCKEN:
Konstruktiver Beton Überbau: ca. 50.000 m³
Schaum-/Leichtbeton Überbau:
ca. 40.000 m³
Betonstahl Überbau: ca. 9.500 to
Spannstahl Überbau: ca. 175 to
TECHNISCHE DATEN
STROMBRÜCKE:
Baustahl: ca. 7.000 to
Spiralseile: ca. 135 to (60
Stück)
LITERATUR:
NEY, LAURENT A Nijmegen: Designing the ‘City
Bridge’, Vantilt Publishers, Nimwegen (NL), 2014