FORUM – SKIN 02/2014 – Centre de Conservation et de Ressources (CCR), Marseille/FR


Visualisierung CCR © Corinne Vezzoni et Associes

VOM LICHT GEFORMT
Fast mimetisch gliedert sich dieser Neubau auf den ersten Blick – er dient der Aufbewahrung und Konservierung der Ausstellungsobjekte des Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée, kurz MuCEM – in die bestehende Bebauung ein. Der klar konfigurierte monolithische Baukörper aus rauem Beton schafft es dennoch, sich durchaus selbstbewusst in Szene zu setzen.

TEXT MICHAEL KOLLER
FOTOS DAVID HUGUENIN

Corinne Vezzoni et Associés aus Marseille ging 2004 als Sieger aus einem internationalen Wettbewerb hervor, den das französische Kulturministerium zum Bau des zum MuCEM gehörenden „Centre de Conservation et de Ressources (CCR)“ – des „Zentrums der Erhaltung und der Ressourcen“ – ausgeschrieben hatte.

Während das Musée des Civilisations de l‘Europe et de la Méditerranée, das „Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers“, (MuCEM) der beiden Architekturbüros Rudy Ricciotti und Carta-Associés mit seiner netzartigen Gebäudehülle prominent und weithin sichtbar direkt an der Hafeneinfahrt des Vieux Port von Marseille liegt, versteckt sich das CCR bescheiden auf einem ehemaligen, 1,2 Hektar großen Kasernengelände im Stadtviertel Belle de Mai in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hauptbahnhof Saint Charles. Es ist ein Stadtteil, der durch die Eisenbahntrassen vom eigentlichen Stadtzentrum abgeschnitten ist und dessen Image in den vergangenen Jahren durch die Ansiedelung verschiedener Kulturprojekte in den Hallen der vormaligen Tabakfabrik entscheidend aufgewertet wurde.


Einschnitte auf der Gartenseite © David Huguenin

SCHATZKISTE
Das Projekt gilt in Frankreich als Pilotprojekt, das aus einer Public-private-Partnership (PPP) zwischen dem Kulturministerium und Icade, einem Immobilienunternehmen und gleichzeitig Tochtergesellschaft der französischen Caisse des Dépôts, hervorgegangen ist.

Das Gebäude dient der Lagerung, Konservierung, Dokumentation, Untersuchung und der Entwicklung der Sammlung des MuCEM und ist eine wahre Schatzkiste von Sammlungsstücke aus mehreren Jahrhunderten alter Volkskunst. Es ist als „lebendiger, aktiver Ort“, als „Arbeitswerkzeug“ für Forscher, Konservatoren, Restauratoren und Studenten konzipiert. Neben den Hauptausstellungen des MuCEM organisiert das CCR in seinen Räumlichkeiten im Erdgeschoß des Gebäudes regelmäßig kleine Nebenausstellungen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind und für deren Gestaltung verschiedene Kuratoren aus Kunst, Architektur und Kultur eingeladen werden.


Lager CCR © Corinne Vezzoni et Associes

Auf mehr als 8.000 Quadratmeter findet man rund eine Million Objekte, darunter Kleidungsstücke, Textilien, Bilder, Keramiken und Glasgegenstände, Bücher, Zeitschriften, Schmuck, Fotografien, Ton- und Filmaufnahmen, profane Skulpturen und Plastiken sowie Spielzeug, Musikinstrumente und vieles mehr.

Die ursprünglich mehr als 30.000 Stücke umfassende Sammlung wurde vom Musée National des Arts et Traditions populaires et du Musée de l’Homme (Volkskundemuseum) in Paris übernommen und konnte seit Beginn dieses Jahrhunderts sukzessive mit Exponaten aus dem Mittelmeerraum erweitert werden. Mit dem CCR wurde es nach Jahren behelfsmäßiger Zwischenlagerung möglich, die gesamte Sammlung des MuCEMs an einem Ort zusammenzubringen.


Haupteingang CCR © David Huguenin

FORM
Corinne Vezzoni reagiert mit dem kompakten Baukörper auf die Maßstäblichkeit der industriellen und militärischen Nachbargebäude. Mit seinen Außenmaßen von 72 x 72 Metern besitzt es exakt dieselbe Grundfläche wie das Ausstellungsgebäude am Meer. Für die Architektin ist das Gebäude ein „Monolith aus rauem Beton, der vom Licht geformt wird“. Seine einfache Volumetrie, seine schroffe, dicke und unregelmäßige Außenhaut und die weißen, glatten und reflektierenden Innenhoffassaden referieren an die Skulptur „Hommage à la mer III“ des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida.

Bei der Positionierung des Gebäudes und der Organisation der verschiedenen Räume und Funktionen haben sich die Architekten das natürliche Gefälle der Parzelle zunutze gemacht und die Anlieferung für die Lkws an der äußersten Ecke der abfallenden Rue Clovis Hugues positioniert. Die Sammlungsstücke werden dementsprechend über das erste Untergeschoß angeliefert bzw. abtransportiert. Das Innere des Bauwerks vergleicht Pascal Laporte, neben Maxime Claude der dritte Partner des Büros, lächelnd mit Ikea, da es beim Entwurf und der Ausarbeitung in erster Linie darum ging, die Räumlichkeiten so zu situieren, dass alle Stücke mit ihren unterschiedlichen Formaten und Größen untergebracht werden konnten. Das Untergeschoß, in dessen Lager an manchen Stellen Galerien eingebaut wurden, besitzt eine Geschoßhöhe von rund sieben Meter, während das Erd- und das erste Obergeschoß zirka vier Meter hoch sind.


Pläne und Schnitte

Hinter der massiven, robusten und rohen Außenfassade mit ihren tiefen Einschnitten verbirgt sich ein Tresor, der von einer hochkomplexen Klimatechnik regiert wird. Die technischen Installationen zur Kühlung der Luft und der Regulierung der Luftfeuchtigkeit sind je nach ihrer Funktion auf dem Dach oder im Untergeschoß untergebracht. Der Fußgängerzugang erfolgt über einen kleinen, beschatteten Vorplatz an der Ecke zwischen der Rue Guibal und der Rue Clovis Hugues. Das Erdgeschoß sowie das erste Obergeschoß werden auf der Hofseite von Büros, Werkstätten, Laboratorien und Sitzungszimmern eingenommen, die sich mit großen Fenstern und Balkonen zum Park hin öffnen. Im Erdgeschoß befinden sich zusätzlich noch ein Ausstellungsraum und ein Raum zur Konsultierung des Fundus.


Die Fassadenfarbe ändert sich je nach Lichteinfall © David Huguenin

FASSADE
Der nach Süden ausgerichtete Innenhof und die beiden Patios im Eingangsbereich sind im Gegensatz zu den Straßenfassaden vollkommen weiß und glatt. Um das Bild eines ausgehöhlten Steins von Eduardo Chillida noch zu verstärken, setzten die Architekten die Fenster der lichtdurchfluteten Büros an die Außenkante der Fassade. Das gesamte Gebäude ist auf der Innenseite isoliert, wobei es in erster Linie darum ging, die Lagerräume wohltemperiert zu halten und so zu gestalten, dass es zu keinen Schäden durch Schimmel oder starker Überhitzung kommt.

Durch das Design wurden vor allem die Fassadenübergänge zwischen den weißen und roten Betonwänden an den Gebäudekanten und den Fensterleibungen zu einer echten Herausforderung, für deren Ausführung spezielle Putztechniken angewandt werden mussten. Die brettraue, kleinteilige Schalung und die unregelmäßige Rotfärbung lassen die Gebäudehaut scheinbar vibrieren und unterstreichen den Kontrast zwischen innen und außen. Auch die Gestaltung einer einheitlich weißen und gleichmäßigen Oberfläche der Hofwände und Terrassen war vor allem durch die Gefahr der Rissbildung der Bodenplatten schwierig.


Detail Hoffassade © David Huguenin


Das CCR erscheint zwar auf den ersten Blick viel unspektakulärer als das MuCEM, entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als ebenso fein ausgearbeitet und als ebenso klares architektonisches Statement.

Vezzoni et Associés gehören heute neben Atelier Marc Barani und Rudy Ricciotti zu den bedeutendsten Vertretern mediterraner Architektur, was sie in der Vergangenheit bereits mit verschiedensten Bauten (öffentlichen und privaten) unter Beweis gestellt haben.

PROJEKTDATEN
Centre de Conservation et de Ressources (CCR) du Musée des Civilisations de l‘Europe et de la Méditerranée (MuCEM) zur Lagerung und Aufbereitung der Sammlungsstücke des MuCEM, 1, rue Clovis Hugues, 13003 Marseille, Frankreich

Architekt: Corinne Vezzoni & Associés, Aura, A. Jollivet architecte (Bauausführung), Marseille
Ingenieurbüro: Ingerop
Bauherr: Ministère de la culture et de la communication (Kulturministerium), Icade Promotion (PPP)
Generalunternehmer: Eiffage construction
Wettbewerb: 2004
Fertigstellung: 2012
Nutzfläche: 13.033 m2

Architektur & BauFORUM - SKIN 02/2014
Corinne Vezzoni & Associés
MuCEM


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