FORUM 04/2014 - PLANEN – Generalsanierung des Rijksmuseums, Amsterdam/NL
Gesamtkunstwerk
Rijksmuseum Amsterdam
Seit
dem 12. April vergangenen Jahres und nach einer zwölf Jahre
dauernden Umbauzeit präsentiert sich das neue Rijksmuseum in
Amsterdam seinen Besuchern heute in neuem Glanz.
Das
altehrwürdige und weltberühmte Rijksmuseum Amsterdam erstrahlt nach
umfassender Restaurierung und Generalsanierung in neuem Glanz: Ein
einfühlsames Gemeinschaftswerk der spanischen Architekten Antonio
Cruz und Antonio Ortiz, Van Hoogevest Architecten aus Amsterdam sowie
des französischen Büros Wilmotte & Associés Architectes.
Text
von Michael Koller
Das Museum mit seiner charakteristischen, neugotischen Backsteinfassade wurde 1885 vom niederländischen Architekten Pieter Cuypers (1827–1921) fertiggestellt. Zu Beginn der Jahrtausendwende beschloss der niederländische Staat, das Gebäude einer Generalsanierung zu unterziehen. Ein internationaler Architekturwettbewerb für den Umbau der gesamten Innenräume wurde ausgeschrieben und von den spanischen Architekten Cruz y Ortiz gewonnen.
Durchfahrt durch das Rijksmuseum © Pedro Pegenaute |
Ziel des Umbaus war die Anpassung des Gebäudes an die Standards großer internationaler Museen. Die primäre Aufgabe der Architekten bestand darin, eine neue funktionelle Eingangssituation zu schaffen und eine zentrale Museumslobby zu entwerfen, in der neben der Kassa und den Toilettenanlagen auch ein Museumsshop, ein Café und ein Auditorium Platz finden mussten. Teil der Aufgabe von Cruz y Ortiz war es, die hohen Galerieräume aus dem 19. Jahrhundert wieder in ihren originalen Zustand zurückzuversetzen.
Im Mai 2004, zwei Jahre nach der Beauftragung von Cruz y Ortiz, gewannen Wilmotte & Associés Architectes den international ausgeschriebenen Wettbewerb für die Gestaltung der insgesamt 12.000 Quadratmeter großen Ausstellungsräumlichkeiten. Für die Präsentation der Museumsexponate durften die Wände des historischen Gebäudes allerdings nicht angetastet werden, die einst von Cuypers erdachten Volumen mussten intakt bleiben. Der Wunsch der Museumsdirektion war keine typologische, sondern eine chronologische Präsentation der Kunstwerke aus 900 Jahren niederländischer Geschichte. Um die Exponate so weit wie möglich in den Vordergrund zu stellen, entwarfen Wilmotte & Associés ein Präsentationssystem mit großen Vitrinen, die aufgrund entspiegelter Gläser und einer auf ein Minimum reduzierten Konstruktion optisch fast zu verschwinden scheinen. Die insgesamt rund 220 Vitrinen sind von den Wänden und Pfeilern abgesetzt und werden nur von den Plafondlampen beleuchtet.
Große Halle © Jannes Linders |
Der Großteil der Ausstellungsräume besitzt Gewölbe, wodurch nur abgehängte Beleuchtungskörper zur Ausleuchtung der Exponate infrage kamen. Die speziell mit Philips Lighting entworfenen und mit LED-Lampen ausgestatteten „Lightracks" ermöglichen es einerseits, die Gewölbe und Decken indirekt zu belichten, und andererseits setzen präzis ausgerichtete Spots die Objekte ins rechte Licht. In den niedrigeren Gewölbesälen kamen runde, in den höheren Räumen rechteckige „Lightracks" zum Einsatz. Um einen möglichst neutralen Hintergrund für
die zur Schau gestellten Objekte zu schaffen, entschied sich Wilmotte für das Ausmalen aller Räumlichkeiten mit einer Farbpalette aus fünf unterschiedlichen Grau-Nuancen. In Entsprechung der einzelnen Ausstellungsstücke wurden die Säle somit jeweils mit einem mehr oder weniger dunklen Grau gestrichen.
Aber
zum eigentlichen SchlüsselGeelement der Museumsadaption wurde die
völlige Neugestaltung der beiden Innenhöfe. Das Absenken des Bodens
unter der Fahrraddurchfahrt ermöglichte die Schaffung einer neuen,
essenziellen Verbindung zwischen Ost- und Westflügel. Die Glasdächer
der beiden Atrien wurden erneuert und ein System von vertikalen
Lamellen, den sogenannten Chandeliers, von der Dachkonstruktion
abgehängt. In den Höfen treffen nun Architekturen zweier Epochen,
die 130 Jahre voneinander trennen, aufeinander. Sie existieren
nebeneinander und kommunizieren miteinander. Mit den beiden Höfen
entstanden neue architektonische Räume, die nunmehr als konsequente
Weiterführung beider Bestandsarchitekturen zu sehen sind.
NACHGEFRAGT
BEI ANTONIO CRUZ
Wie
muss man sich das Gebäude vor dem Umbau vorstellen?
Ich
habe es immer mit Ikea verglichen. Man folgte der eingezeichneten
Route, ohne wirklich zu wissen, wo man sich befand; ohne irgendwelche
Orientierungsmöglichkeiten.
Worin bestanden die Hauptaufgaben von Cruz y Ortiz?
Wir
waren mit drei Hauptproblemen konfrontiert: Erstens wurde das
Rijksmuseum im 19. Jahrhundert als Tor zum südlichen Stadtrand
gebaut. Das erklärt die Durchfahrt für Fahrräder und Fußgänger
auf Straßenniveau. Der von einem Kreuzrippengewölbe gebildete
Tunnel schnitt das Gebäude in einen West- und einen Ostflügel
entzwei und machte die Benützung des Gebäudes als eine Einheit
unmöglich. Unsere erste Aufgabe bestand also darin, eine neue
Verbindung zwischen den beiden Gebäudehälften und eine neue
Eingangssituation zu schaffen. Das zweite Problem war die schlechte
Behandlung und Nutzung des Gebäudes während des gesamten 20.
Jahrhunderts. Alle Umbauarbeiten dienten ausschließlich dazu, mehr
Räume zu schaffen und neue Zwischenwände und Decken einzuziehen. Um
die von Cuypers entworfenen Bereiche wiederherzustellen, mussten wir
daher das gesamte Gebäude bis auf die Tragkonstruktionen entkernen.
Die Wände mussten vielerorts aufgrund der starken Beschädigungen
völlig restauriert werden. Das dritte Problem schließlich bestand
darin, dass das Gebäude selbst in der Vergangenheit nur als
Container, als reine Hülle, angesehen wurde und die gesamten
Dekorationen unter einer Schicht weißer Farbe versteckt lagen. Diese
Dekorationen wollte die Direktion im Rahmen der Neugestaltung wieder
sichtbar machen.
Sind
denn durch den Umbau nicht viele Ausstellungsflächen
verlorengegangen?
Nein.
Die Ausstellungsfläche des Museums hat sich nicht wesentlich
verändert, auch durch den Zubau des zweigeschoßigen „Asiatischen
Pavillons" auf der Museumsplein-Seite. Die Ateliers zur
Restaurierung der Gemälde wurden vollständig in einen Neubau in
unmittelbarer Nachbarschaft des Museums ausgelagert, den ebenfalls
wir realisiert haben. Auf diese Weise wurden große Flächen und
Räumlichkeiten im Hauptgebäude frei.
Wie
arbeitet man über einen Zeitraum von zwölf Jahren an einem Projekt?
Architektur
ist ein langer und langsamer Prozess. Die Gebäude, an denen wir
bisher gearbeitet haben, waren meist sehr große und komplexe
Bauwerke, deren Realisierung im Schnitt sechs bis sieben Jahre
dauerte. Wir haben uns mittlerweile an diese langen Bauzeiten gewöhnt
und angepasst, wobei die zwölf Jahre für das Rijksmuseum schon eine
Ausnahme sind. Es ist sehr entscheidend, den Bauprozess konstant und
im Detail zu verfolgen, vor Ort zu sein und den Baufortgang zu
überprüfen. Bei solch einem Umbau stößt man ständig auf
Situationen, die Veränderungen und Anpassungen erfordern. Trotz
aller Probleme, die auftauchen können, muss man den Bauprozess aber
auch genießen.
Gab
es viele Überraschungen?
Es
war gewissermaßen eine Entdeckungsreise. Am Beginn ist es schwierig,
sich das Ergebnis vorzustellen. Das ist die größte Herausforderung.
Wir haben oft und an vielen Stellen Überraschungen erlebt und Dinge
entdeckt, die wir nicht erwartet hatten. Aber das Gebäude hat uns
viele Dinge zurückgegeben und ist schöner geworden, als wir das
ursprünglich erwartet hatten.
Ein
Beispiel?
In
einem Museum geht es in erster Linie um Licht, um Sonnenlicht. Zu
Beginn der Arbeiten war es unmöglich vorherzusehen, welchen Einfluss
genau das Sonnenlicht auf die Stimmung im Gebäude haben würde und
wie sich diese verändern wird. Jetzt, wo die Innenhöfe leer sind,
wird der gesamte Bau von einem ganz anderen Licht durchflutet.
Das außergewöhnlichste und beeindruckendste Element der Innenhöfe sind die von den Glasdächern abgehängten Chandeliers. Wie kam es zu dieser Idee?
Die
drei rechteckigen Chandeliers haben natürlich eine Funktion: Sie
verbessern die Akustik in den hohen Innenhöfen, auch die
Beleuchtungskörper wurden in die Chandeliers integriert. Sie
besitzen aber auch einen essenziellen, ästhetischen und räumlichen
Aspekt: Ihre Unterkanten liegen auf derselben Höhe wie die Decke
über der Durchfahrt, wodurch sich eine räumliche Einheit zwischen
diesen drei Elementen ergibt. Sie verringern auch die Höhe der
Atrien. Dadurch entsteht für die Besucher ein angenehmes Raumgefühl.
Durch die vertikale Stellung der Lamellen wird das Sonnenlicht
reflektiert und gefiltert, aber kaum absorbiert, wodurch die Höfe
dennoch maximal belichtet werden. Nicht zuletzt entstehen durch die
vertikalen Lamellen auch schöne Schattenwürfe auf der sonst blinden
und uninteressanten Fassade des ersten Obergeschoßes.
Wie
kann man Ihre Intervention zusammenfassen?
Wir
hatten von Anfang an eine sehr klare und deutliche Vorstellung, wie
das Museum umgebaut und neu organisiert werden sollte. Im Grunde
haben wir stets versucht, während des gesamten Bauprozesses zu
beweisen, dass die Ideen, die wir beim Wettbewerb präsentiert haben,
gut genug waren, um auch die Erwartungen der Auftraggeber und der
Besucher zu erfüllen.
Was lernt man bei einem derartigen Projekt?
Sondersammlung © Julien Lanoo |
Was lernt man bei einem derartigen Projekt?
Es
hat uns bestätigt, dass gute Architektur nur durch die perfekte
Zusammenarbeit vieler unterschiedlicher Personen entstehen kann. Wenn
man die Dinge richtig macht, scheint das Ergebnis logisch und simpel.
Aber erst am Ende weiß man, ob man die richtigen Lösungen gefunden
hat.