FORUM 03/2014 - BAUEN – Erweiterung und Renovierung Mauritshuis, Den Haag/NL



Perspektivischer Schnitt © Hans van Heeswijk architecten

In den Grund gesetzt -
Erweiterung und Renovierung Mauritshuis, Den Haag

Die Wiedereröffnung des Mauritshuis in Den Haag, eines der bekanntesten Museen der Niederlande und Heimat von Vermeers Meisterwerk „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge", ist nach einer umfassenden Erweiterung und Renovierung nach den Plänen des Amsterdamer Architekten Hans van Heeswijk für den 27. Juni 2014 geplant.

Text Michael Koller

Bauarbeiten Vorplatz © Mauritshuis, Fotograf Ivo Hoekstra

Das Mauritshuis – eines der schönsten Beispiele klassizistischer Architektur in den Niederlanden – wurde zwischen 1636 und 1644 nach einem Entwurf von Jacob van Campen als Doppelwohnhaus für Graf Johan Maurits van Nassau-Siegen, den damaligen Gouverneur der niederländischen Kolonie in Brasilien, erbaut. 1820 wurde das Mauritshuis vom niederländischen Staat gekauft, um dort die königliche Gemäldesammlung

unterzubringen. 1822 wurde das Mauritshuis als Museum eröffnet. So wie der benachbarte Binnenhof – das niederländische Parlament – liegt das Mauritshuis am Hofvijver, einem kleinen See im Herzen der Stadt.
Schnitt © Hans van Heeswijk architecten

PLATZMANGEL
2009 konnte sich Hans van Heeswijk beim europäischen Wettbewerb für die Erweiterung und die Renovierung des Museums in der zweiten Runde gegen seine vier niederländischen Kollegen Claus en Kaan Architecten Mecanoo architecten, Merkx+Girod und Broekbakema durchsetzen. Die kontinuierlich steigende

Besucherzahl, die unzureichenden Besuchereinrichtungen und die unbefriedigende Eingangssituation an der Gebäudeschmalseite verlangten eine weitreichende Umstrukturierung des Museums. Temporäre Ausstellungen waren nur durch das teilweise Sperren der Dauerausstellungsbereiche möglich. Das Freiwerden des benachbarten Eckgebäudes ‚Plein 26‘, das in den Dreißigerjahren im Art-déco-Stil errichtet worden ist, ermöglichte eine Erweiterung des Museums.

In der Vorbereitung des Wettbewerbs stellte der Rijksgebouwendienst Studien zu Erweiterungsmöglichkeiten und Verbindungsmöglichkeiten der beiden Gebäude an. Die Studie sah eine Verbindung des Mauritshuis und des Eckgebäudes mittels Tunnels und Gängen vor.
Bauarbeiten Vorplatz © Mauritshuis, Fotograf Ivo Hoekstra

DER NEUE ENTWURF
Hans van Heeswijk hat sich unter anderem mit dem Umbau des Amstelhofs, eines aus dem 17. Jahrhundert stammenden und als Altenheim genutzten Gebäudes, in die Hermitage Amsterdam einen Namen im Umbau und in der Renovierung von Museen und Baudenkmälern gemacht.

Unterirdische Tunnels und Gänge zur Verbindung des Mauritshuis mit dem neuen Eckgebäude wären, so meinte der Architekt, nicht funktionell und für ein derartiges Museum räumlich unpassend gewesen. Und so präsentierte van Heeswijk in seinem Entwurf eine großzügige Verbindung der Gebäude mittels eines geräumigen, lichtdurchfluteten, unterirdischen Foyers, in dem alle Besucherfunktionen untergebracht sind und das als Schnittstelle der unterschiedlichen Museumsfunktionen fungieren sollte. Dabei nutzte er einen zweigeschoßigen Keller, der im Zuge erster Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten zu Beginn der Achtzigerjahre unter dem Vorplatz für ein Depot, ein Auditorium und diverse Nebenräumen angelegt worden war.

Gebäude wie die Pyramide des Louvre und der Apple Store in New York inspirierten van Heeswijk zu seinem Entwurf des neuen Haupteingangs. Im neuen Arrangement betreten die Besucher das Museum wieder über den Vorplatz. Einmal auf diesem Platz, gelangen sie entweder über den freistehenden, rund neun Meter hohen zylinderförmigen Glaslift oder über die neue geschwungene Freitreppe zum Museumszugang im ersten Untergeschoß unter dem Vorplatz. Die beiden speziell für dieses Gebäude entworfene Elemente stehen wie luxuriöse Möbelstücke in einem Patio, der durch eine Aussparung im Vorplatz entstanden ist. Der einer großen transparenten Litfaßsäule ähnliche Glaslift dient dem Besucher dabei als Richtungsweiser zum Eingang des Museums. Diese auf ein Minimum reduzierte Eingangssituation entspricht den strengen Auflagen des Rijksgebouwendienst, der die Schaffung neuer Volumen und Zubauten untersagte.
Bauarbeiten am neuen Foyer © Mauritshuis, Fotograf Ivo Hoekstra

Das Volumen des Patios und des Foyers erstreckt sich als eine homogene, durchlaufende Box vom Kanal auf der einen Seite bis unter das Gebäude des Plein 26 auf der anderen. Die raumhohen Glasscheiben zwischen dem Patio und dem Foyer lösen die Grenze zwischen innen und außen visuell auf und sorgen für einen maximalen Lichteinfall von dieser Seite. Außerdem kann sich der Besucher beim Hinabschreiten der Treppe

bereits einen Überblick über das Foyer und die Organisation des Museums verschaffen. Wie van Heeswijk betont, ist diese Übersichtlichkeit und die einfache Orientierungsmöglichkeit das Schlüsselelement für ein gut funktionierendes und erfolgreiches Museum.

Einmal auf Eingangsniveau, kommt der Besucher durch die raumhohe Drehtür ins Foyer, in dem sich die Kassen, die Garderoben, der Informationsschalter, die öffentlichen Toiletten, der Museumsshop sowie ein Café befinden. Vom Foyer aus können die Besucher entweder über zwei monumentale Treppen ins Mauritshuis hinaufgehen oder zum Plein 26 durchgehen.

Den Architekten war es sehr wichtig, so viel Tageslicht wie möglich in das unterirdische Foyer zu bringen, um unter allen Umständen eine Garagenatmosphäre zu verhindern. Dies gelingt durch die raumhohe Verglasung zum Patio sowie durch die in den Vorplatz eingelassenen Glasscheiben. Zusätzlich organisierten die Architekten im Bereich des Höhenversprungs zwischen dem Keller des Mauritshuis und des Plein 26 und dem neuen Volumen unter der Straße Fenster, durch die ebenfalls Licht aus verschiedenen Richtungen ins Foyer einfällt. Alle diese Öffnungen schaffen aber auch vielfältige Ausblicke, sei es nun auf die Fassade des Mauritshuis, die des Plein 26, auf die Straße oder auf den Binnenhof. Sichtlinien spielen in den Entwürfen van Heeswijks eine entscheidende Rolle, da sie unter anderem die Orientierung erleichtern.
Montage der Stahlbetonbalken © Mauritshuis, Fotograf Ivo Hoekstra

Bautechnik
Der Auftrag Van Heeswijks umfasste alle bautechnischen Veränderungen sowie die Restaurierung der Fassade beider Gebäude, für die das Büro die Expertise eines Restaurators hinzuzog. Die Erneuerung der Wandtapeten sowie der Stuckarbeiten im Mauritshuis wird von den Dekorateuren des Museums selbst durchgeführt. Die Anpassung der gesamten Haustechnik, die Verlegung neuer Leitungen in den bestehenden Installationsschächten unter den Parkettböden und in den Wänden sowie die Erneuerung aller Fenster fiel allerdings unter die Verantwortung der Architekten. Auch die Modernisierung und Anpassung der gesamten Gebäudetechnik des Plein 26, der Entwurf neuer Fenster und die gesamte Innenraumgestaltung ist Teil des Auftrags von Hans van Heeswijk. So wurden unter anderem das Art-déco-Stiegenhaus restauriert und bis in das Keller- bzw. Dachgeschoß verlängert. Ein neuer Deckendurchbruch zwischen dem zweiten und dritten Obergeschoß erhöht das existierende Atrium auf die gesamte Gebäudehöhe. Außerdem wurden alle Lichtkuppeln über den dekorativen Glaseinlagen der Decke des Dachgeschoßes restauriert. Die Möbel des Foyers, des Shops, des Cafés und der Bibliothek wurden in enger Zusammenarbeit mit einem Tischler nach Entwürfen von Hans van Heeswijk gebaut.

Konstruktiv wurde das neue Foyer in Wirklichkeit aus drei Boxen zusammengesetzt: dem Keller unter dem Vorplatz, dem neuen Volumen unter der Straße und dem umgebauten Kellergeschoß des Eckgebäudes.
Um das große Volumen des Foyers unter dem Vorplatz zu kreieren, wurde die Zwischendecke und alle tragenden Zwischenwände des ursprünglich zweigeschoßigen Kellers entfernt. Während der Abbrucharbeiten dienten Ringbalken aus Stahlprofilen der Aussteifung der bestehenden Seitenwände. Die Aussteifungsfunktion der abgerissenen Zwischendecke werden letztendlich durch ins umliegende Erdreich getriebene, neue Zuganker übernommen. Zudem wurden die Seitenwände verstärkt. Um ein Auftreiben des Kellers zu verhindern, wurde auch die Bodenplatte verstärkt. Die Decke des Foyers – gleichzeitig die Bodenplatte unter dem neuen Vorplatz – wurde völlig erneuert, wobei die ursprünglichen Pflastersteine zurückgelegt wurden. Während dieses gesamten Umbaus wurde auch die historische Eingangstreppe sorgfältig abgetragen und nach der Fertigstellung des Platzes wieder aufgebaut.
Volumen unter der Straße © Mauritshuis, Fotograf Ivo Hoekstra

Um Setzungen und Schäden durch die Gründungsarbeiten an den Gebäuden zu verhindern, musste man für jedes Teilgebäude eine aparte Gründungsmethode anwenden. So wurden die neuen Kellerwände des um rund zwei Meter abgesenkten Kellers unter dem Plein 26 durch das Düsenstrahlverfahren errichtet, während das Volumen unter der Straße mit der Cutter-Soil-Mixing-(CSM)-Methode gebaut und die Bodenplatte mit Unterwasserbeton gegossen wurde. Die Fassadenlasten des Eckgebäudes werden letztlich über doppelte runde Stahlsäulen ins Erdreich abgetragen. Besonders heikel war der Bau der Fundamente für die neuen Lifte des Mauritshuis, des Patios und des Plein 26.

Die drei Boxen wurden unabhängig voneinander und nacheinander gebaut, um Risiken zu minimieren und eine bessere Baulogistik auf dem räumlich sehr begrenzten Grundstück durchführen zu können. Erst nach der Fertigstellung jedes einzelnen Kellers wurden die Zwischenwände durchbrochen.
Bauarbeiten am neuen Patio © Mauritshuis, Fotograf Ivo Hoekstra

Funktionen
Das Mauritshuis beherbergt auch in Zukunft die fixe Ausstellung. Im Kellergeschoß befinden sich nun das Depot und einige Besuchertoiletten. Im Plein 26 sind hingegen alle neuen, temporären und administrativen Funktionen untergebracht: der belebte Museumsshop wurde bewusst am Ende des Foyers im ersten Untergeschoß situiert. Von dort aus gelangt man über eine breite Treppe ins Erdgeschoß und ins Café, das sich auf Platzniveau befindet. Das erste Obergeschoß wird vom hohen Saal für temporäre Ausstellungen und von einem ebenso hohen Unterrichtsraum eingenommen, während im zweiten Obergeschoß das neue Auditorium, eine Bar und eine große Bibliothek untergebracht sind. Das dritte Obergeschoß ist der Administration vorbehalten.

Nur wenn der Besucher von all diesen komplexen und vielschichtigen Umbauarbeiten bei der Wiedereröffnung des Museums im Juni nichts mehr sehen kann, ist das Projekt für Hans van Heeswijk erfolgreich abgeschlossen.


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