FORUM - INTERVIEW - Ryan W. Kennihan Architects


 
Ryan W. Kennihan © Alice Clancy

Ein Teil der Kontinuität
 
Die Jury des Royal Institute of Architects of Ireland (RIAI) argumentierte die Verleihung des Best Emerging ­Practice Award 2011 an Ryan W. Kennihan Architects mit den starken Ideen und der klaren Architekturauffassung, für die das junge Büro stehe und die sich auch in der guten Ausführung von deren Projekten manifestiere. Die Stärke Ryan W. Kennihans liegt sicherlich in seinem Enthusiasmus und dem breiten Zugang zur Architektur, der seine Büro­arbeit mit der Architekturforschung und der Lehrtätigkeit verbindet.

Michael Koller im Gespräch mit Ryan W. Kennihan

Wie verschlägt es einen Amerikaner aus der Großstadt ­Chicago in das beschauliche Dublin?
Dafür gibt es zwei Gründe: 2002 befand sich Irland inmitten eines riesigen Baubooms. Jeder baute, und alle guten Architekturbüros der Stadt nahmen Architekten auf. Das führte dazu, dass es sehr viele junge Architekten gab, die über Bauen und Architektur sprachen, und eine sehr stimulierende Diskus­sionskultur entstand. Und genauso eine Atmosphäre habe ich im Anschluss an mein Studium auch gesucht. Viele meiner Studienkollegen gingen nach dem Abschluss nach New York, um dort in großen Büros zu arbeiten. Ich wollte bauen. Es war die ideale Zeit, um hierherzukommen, und Dublin war der ideale Ort, um zu beginnen. Durch die Nachfrage an Architekten war es außerdem für Nicht-Europäer sehr einfach, ein Arbeits- und Aufenthaltsvisum zu erhalten. Und der zweite Grund war meine Frau, die es ebenfalls aus beruflichen Gründer hierher zog.

Ein sicherlich gewaltiger Maßstabssprung. Wird Ihnen Dub­lin bzw. Irland nicht zu klein?
Es ist tatsächlich ein anderer Maßstab, aber gerade der Größenunterschied eröffnete mir eine Vielzahl an Möglichkeiten. Als ich hierherkam, waren die Iren sehr offen für neue Ideen und gingen auch das Risiko ein, in der Architektur neue Dinge auszuprobieren. Das hat die Architektur- und Bauszene sehr stimuliert. Das Bauen in den USA ist sehr konservativ und überreglementiert. Für einen Architekten ist es dort sehr schwierig, eine Lizenz zu erhalten – die dann auch nur in einem Bundesstaat Gültigkeit hat. Außerdem will niemand Risikos eingehen.

Manchmal ist es gerade als Ausländer schwierig, in einem fremden Land Fuß zu fassen, nicht zuletzt, weil man dessen Kultur und Gebräuche nicht kennt. Hatten Sie damit keine Probleme?
Die Iren waren sehr gut zu mir. Nicht nur, dass die Kultur allgemein sehr offen war, auch die Architekten, für die ich arbeitete, haben mich von Beginn an als ebenbürtig behandelt und mich in ihre Bekanntenkreise eingeführt. Dazu kam noch die Möglichkeit, hier zu unterrichten. In Irland ist es sehr wichtig, dass dich jemand empfiehlt, egal woher du kommst und wie alt du bist. Aber wenn dich jemand empfiehlt, heißt das, dass du gut bist. Dann kann man etwas erreichen und weiterkommen.

Und die Krise? Hat es bei Ihnen nie den Punkt gegeben, an dem Sie Ihre Entscheidung bereuten?
Nein. Natürlich hat sich seit der Krise die Frage gestellt, wie es weitergehen kann und soll. Viele Projekte wurden gestoppt oder auf die lange Bank geschoben. Aber meine Entscheidung hierherzukommen, bereue ich deswegen nicht. Mein eigenes Büro zu haben, meine eigene Architektur realisieren zu können und auch unterrichten zu können sehe ich als echten Luxus.

Sie sehen die Möglichkeit zu unterrichten als große Chance. Warum ist das für Sie so wichtig?
Ich wollte ganz bewusst unterrichten. Ich begann damit, als ich noch bei Boyd Cody Architects gearbeitet habe. Meine Chefs unterrichteten selbst und standen meinen Ambitionen sehr aufgeschlossen gegenüber. Am Anfang lockte mich sicherlich auch der Versuch, ein bischen Abstand vom Büroalltag zu bekommen. Seit der Gründung meines eigenen Büros haben sich die tägliche Praxis und die Forschungsarbeit, die ich mit meinen Studenten an der Universität mache, immer stärker verknüpft, fast wie ein Puzzle. Die Lehrtätigkeit erlaubt es mir, meine Sichtweise der Architektur zu verstärken und meinen Geist fit zu halten. Die Büroarbeit beeinflusst meine Lehrinhalte, und umgekehrt stimuliert die Forschungsarbeit die Entwicklung von Projekten im Büro.

Das heißt, dass die Studios, die Sie leiten, Ihren Charakter und Ihre Arbeitsweise widerspiegeln?
Ich versuche meinen Studenten in erster Linie das Bauen näherzubringen. Das ist eben meine persönliche Linie. Ich finde es auch gut, dass Professoren in ihren Kursen unterschiedliche Ziele verfolgen, das sorgt für die nötige Vielfalt, die für die Ausbildung eines Architekten notwendig ist. Ich glaube, dass auch meine Studios ähnlich wie die Architektur, die wir hier im Büro entwickeln, eine sehr klare Architekturauffassung vorstellen. Meine Schwerpunkte liegen in der Konstruktion und Erforschung traditioneller Bautypologien und Konstruktionstechniken. So gelingt es mir auch, die Brücke zwischen Praxis und architektonischer Forschungsarbeit zu schlagen.


Ich versuche niemanden durch komplexe Konstruktionen zu blenden, für mich liegt die Schönheit eines Hauses auch in der Einfachheit, in der Direktheit seiner Konstruktion.

Wie kommt es, dass Sie sich als Ausländer auf irische Bautraditionen spezialisiert haben?
Die Dinge, die ich unterrichte, sind nicht speziell irisch. Einer meiner Kursinhalte waren die mittelalterlichen Rathäuser in Italien. Wir analysierten ihre Lage im städtischen Kontext, studierten ihre Formen, ihre räumlichen Kompositionen, ihre Konstruktion und bauten sie in Modellen nach.

Aber warum diese Forschungsarbeit zur Geschichte von Gebäuden? Das ist doch heute ziemlich unmodern und etwas unpopulär?
Weil ich davon überzeugt bin, dass es so etwas wie ewige, zeitlose Wahrheiten und Regeln gibt. Was ich versuche zu vermitteln, ist eher die Art und Weise, Dinge zu betrachten. Das ist mir wichtig. Dieses Interesse für die Geschichte eines Ortes und eines Gebäudes ist sicherlich auch meine ganz persönliche Revolte gegen meine Ausbildung und gegen zeitgenössische Architektur.

Wie sehen Sie dann Ihre Funktion als Architekt?
Um dauerhafte und zeitlose Architektur zu machen, muss man aus Quellen wie Konstruktionstechniken, überlieferten Gebäudetypologien oder zeitlosen Materialien schöpfen. Deswegen ist für mich die Architektur- und Kulturdiskussion so wichtig. Jedes Gebäude sollte meiner Meinung nach sowohl in der Bau- wie Architekturkultur fundiert sein. Ich sehe unsere Arbeit als Teil einer Kontinuität. In diesem Sinne entwerfen wir auch Gebäude. Insofern finde ich die Position der Modernisten, dass die Geschichte keine Bedeutung habe, absurd.

Das ist eine Haltung, die auch als sehr konservativ eingestuft werden kann.
Ich bin absolut davon überzeugt, dass es möglich ist, eine hundertprozentige moderne Architektur unserer Zeit zu entwerfen und zu bauen, die dennoch Teil der Kontinuität lokaler Architekturkultur ist, die auf Jahrzehnte, auf Jahrhunderte zurückgeht. In diesem Sinne unterrichte ich auch.

Ihre Gebäude sind in ihrer Materialität sehr schwer und massiv, formal fest mit ihrem Bauplatz verbunden. Zur Verwendung gelangen dabei meist Backstein, Naturstein und Beton. Warum?
Ich habe bis jetzt dem Kontext entsprechend vornehmlich in Backstein und Beton gebaut. Aber es kann durchaus sein, dass ich in Zukunft auch ein Bauernhaus aus Glas baue. Aber auch das ist davon abhängig, ob es in den Kontext passt und das Material meine Erwartungen erfüllt. Generell habe ich mich aber schon immer zu schwereren Materialien hingezogen gefühlt.

Was fasziniert Sie so an diesen Materialien?
Eine der größten und stärksten, der Architektur zutiefst inhärenten Qualitäten ist deren mögliche Dauerhaftigkeit und die Tatsache, dass sie über mehrere Generationen bewohnt und genutzt werden kann. Ich bin überhaupt nicht an temporärer oder mobiler Architektur interessiert und möchte dauerhafte und funktionelle Gebäude bauen, die Bestand haben und als schön beurteilt werden. Für mich sind Struktur und Konstruktion eines Gebäudes stets entscheidend, weil auch sie die Dauerhaftigkeit eines Bauwerks bestimmen. Deshalb lege ich diese in unseren Projekten auch gern offen, um den Bewohnern die Struktur ihres Hauses begreifbar zu machen. Wir beginnen unsere Entwürfe somit oft mit einem Konstruktions- oder einem Bauprinzip.


Ich arbeite gern an kleinen Projekten, weil ich die Direktheit und Unmittelbarkeit liebe. Die Arbeit auf der Baustelle ist ein permanenter Dialog mit den ausführenden Firmen, das hat für mich einen entscheidenden Stellenwert.


Im Rahmen der Renovierung eines bestehenden Gebäudes versuchen Sie stets auch die Konstruktion sichtbar zu machen wie etwa beim Sallymount Terrace House. Der Unterschied zwischen Bestand und Zubau wird aber nicht auf Anhieb sichtbar.
Wenn wir Gebäude renovieren, versuchen wir immer einen architektonischen, räumlichen und materiellen Dialog zwischen bestehendem und neuem Teil zu entwickeln. Beim Terrace House ging es darum, im Erdgeschoß einen klaren Unterschied zwischen dem existierenden, typischen Wohnhaus und dem modernen Zubau zu machen. Dennoch gibt es Ähnlichkeiten in Material, Symmetrie von Fenstern und Türen. Die meiste zeitgenössische Architektur ist nur auf Unterschiede und Fremdheit aufgebaut. Das Resultat sind oft flache oder hohle Erlebnisse dieser Architekturen. Für mich ist ein Gebäude viel interessanter, wenn es diese Mischung aus Fremdheit und Vertrautheit besitzt. Das verstehe ich unter einem Dialog.

Bei den Wettbewerbsenwürfen für das Leaning Vault House oder die Festhalle des Javafaltet-Friedhofs gehen Sie überhaupt so weit, die sehr ungewöhnliche Form eines Bogens vorzustellen. Woher kommt diese Idee?
Sie erklärt sich einerseits durch mein Interesse an der Struktur von Gebäuden und andererseits aus dem Bestreben, Teil einer Kontinuität zu sein. Das Leaning Vault House ist auf der konstruktiven Idee, ein nubisches Gewölbe zu realisieren, aufgebaut. Mit dem Bogen wollte ich keine interessante Form kreieren, sondern dessen Konstruktionsprinzip und Potenzial erforschen, um zu sehen, welche Art von Räumen dieser erzeugen kann. Ich versuche niemanden durch komplexe Konstruktionen zu blenden, für mich liegt die Schönheit eines Hauses auch in der Einfachheit, in der Direktheit seiner Konstruktion. Das ist wichtig, damit sich auch die Nutzer und Bewohner mit ihm identifizieren können.

Sie bearbeiten mehrheitlich kleinere Projekte. Möchten Sie in Zukunft auch größere Bauten realisieren?
Ich arbeite gern an kleinen Projekten, weil ich die Direktheit und Unmittelbarkeit liebe. Die Arbeit auf der Baustelle ist ein permanenter Dialog mit den ausführenden Firmen, das hat für mich einen entscheidenden Stellenwert. Die Unmittelbarkeit zwischen dem Entworfenen und dessen Ausführung gefällt mir. Aber ein multifunktionales Gebäude wie jenes in der Henrietta Street – also ein mittelgroßes Bauvorhaben – realisieren wir natürlich auch gern.

Die Beschreibung Ihrer Architektur und Ziele Ihres Portfolios sind für ein junges Büro wie das Ihre ungewöhnlich klar und deutlich. Sie wissen genau, in welche Richtung Sie Ihr Büro entwickeln wollen, oder?
Ich habe gemerkt, dass das Definieren und Niederschreiben meiner eigenen Werte und die Analyse meiner Architektur sehr hilfreich sind. Es entspricht genau dem, wofür ich stehe. Natürlich werden wir uns weiterentwickeln, ein Großteil wird jedoch bestehen bleiben, gerade weil ich keine modischen, sondern zeitlose Gebäude bauen will. Am besten wird es sein, wenn Sie in fünf Jahren wieder zurückkommen und wir das Gespräch dann weiterführen.

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