FORUM - INTERVIEW - Grafton architects



Yvonne Farrell und Shelley McNamara © Alice Clancy


Ein Beruf mit Bedeutung
Mit der Realisierung und den zahlreichen Auszeichnung für das Luigi Bocconi Universitätsgebäude in Mailand ist die Arbeit von Grafton architects international bekannt geworden. Trotz der Bekanntheit, zeigt sich Yvonne ­Farrell, Mitbegründerin des Büros, als bedachte Person, die ihre Arbeit als Architektin mit jedem Tag mehr zu schätzen weiß. Das Schönste an ihrem Beruf: Dass man im Laufe der Zeit die Dinge realisiert, über die man in seiner Anfangszeit nur gelesen hat.

Michael Koller im Gespräch mit Shelley McNamara

Eure Namen, bzw. die eurer Partner findet man nicht in eurem Büronamen wieder. Wie kam es eigentlich zum Namen Grafton Architects?
Unser Büro liegt in der Hauptfußgängerstraße von Dublin, dem sozialen Herzen der Stadt. Wir haben 1978 als fünfköpfige Bürogemeinschaft begonnen. Damals entschlossen wir uns dazu, unserem Büro anstatt einer Abkürzung unserer Namen, den Namen der Straße zu geben, in der wir arbeiten.

Ihr seid also seit eurer Bürogründung an diesem Ort. Offenbar habt ihr eine sehr starke Beziehung zu dieser Straße?
Es ist wunderbar für uns im pulsierenden Herzen der Stadt zu arbeiten. Auf der einen Seite überblicken wir den ruhigen Innenhof unseres Straßenblocks und die Dächer der Stadt, während wir auf der anderen Seite, sobald wir die Haustür öffnen vom animierten Straßenleben der Grafton Street aufgesogen werden. Hier zu arbeiten verbindet uns mit etwas, das wir am meisten lieben, nämlich der Vielfalt des Lebens.

Grafton Street ist wirklich die zentrale Straße von Dublin. Ist für euch das Arbeiten in der Stadt an sich von großer Bedeutung?
Ja, wir wollen zum Beispiel ganz bewusst nicht in einem abgeschiedenen Büro am Fuße eines Berges arbeiten, selbst wenn wir die Natur lieben. Der Ort spielt in unserer Arbeit mit zunehmenden Jahren eine immer wichtigere Rolle. Seit 2008 leben offiziell mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Das heißt, dass immer mehr Flächen der Welt von uns bebaut werden, und das, was wir als Architekten und Stadtplaner machen von ungeheurer Bedeutung für die Umgebung ist. Das Gebaute wird sozusagen die neue Geographie unserer Umwelt und des Lebensumfeldes der Menschen. Das ist eine große Verantwortung. Was ursprünglich als eine praktische Wahl des Büronamens begann, entwickelt sich immer stärker zu einem Teil unserer Auffassung über die sozialen Konsequenzen des Bauens.

Zwei Frauen, die ein Architekturbüro führen. Ist es ein Vorteil, als Frau in einer eher von Männern dominierten Berufssparte wie dem Bauen zu arbeiten?
Natürlich gibt es Vorteile, ebenso aber auch Nachteile. Männer haben aus verschiedenen Gründen eher die Tendenz, sich in den Vordergrund zu stellen. In der Architektur- und Bauwelt gibt es aber sehr viele Frauen in sehr wichtigen Positionen, die sich aber gegenüber den Männern zurücknehmen. Ich glaube, dass positive Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen nötig ist und Frauen ein bisschen angeschubst werden müssen, um den Schritt aus dem Schatten zu wagen. Es gibt sehr viele, sehr talentierte Frauen, die ihre Fähigkeiten unterschätzen und keine Möglichkeit zum Bauen bekommen.

Und warum?
Unserer Erfahrung nach engagieren sich Frauen sehr intensiv und umfassend in ihrem Beruf. Diese Inklusivität führt aber auch dazu, dass sie sich gegenüber den Männern stärker zurücknehmen.

Hat der gewonnene Wettbewerb für die Bocconi Universität in Mailand etwas an dieser Auffassung geändert?
Wir haben uns diese Fragen selbst auch gestellt, sind aber zum Schluss gekommen, dass Architektur nichts mit Männlichkeit oder Weiblichkeit zu tun hat, sondern ausschließlich mit Architektur, dem Engagement und der Energie, die man in ein Projekt steckt. Die Projekte entstehen aus einer starken kollektiven Zusammenarbeit eines gemischten Teams aus Frauen und Männern. Vielleicht kann man von einer weiblichen Perspektive des Lebens sprechen, aber selbst das ist wieder von jeder einzelnen Persönlichkeit abhängig. Aber generell können Frauen den Beruf genauso gut ausüben wie Männer.

Die Einzigartigkeit des Ortes stellt für uns quasi das Gegengewicht zur Harmonisierung der Welt durch den Internationalismus dar.
 

Im April 2011 habt ihr an der Columbia University einen Vortrag mit dem Titel: „In Dialogue with Gravity" gehalten. Wie kam es zu diesem Titel?
Ich liebe das Theater. Wir haben vor einigen Jahren im Rahmen des: „Dublin Theatre Festivals", die Aufführung einer japanischen Tanzgruppe gesehen, bei der die Schauspieler ihre Bewegungen beinahe bis zum völligen Stillstand verlangsamen. In der Beschreibung ihres Stückes verwendeten die Autoren den Begriff „In Dialogue with Gravity", einen Ausdruck, den wir sehr schön und zutreffend fanden.

Und worin besteht die Verbindung zu eurer Architektur?
Wir finden, dass das Gewicht eines Gebäudes in unserer heutigen Gesellschaft zu wenig diskutiert wird. Gebäude besitzen eine spezifische Masse und fungieren als wichtiger Anker im Raum und der Erinnerung der Menschen. Die Verbindung zwischen Struktur und Raum wird unserer Meinung nach nicht ausreichend an den Universitäten gelehrt. Der Innenraum bei der Bocconi Universität entwickelte sich zwischen der Masse, der in den Boden versenkten Bauteile und der abgehängten, scheinbar schwebenden Büros darüber. „In Dialogue with Gravity" drückt präzise diese Beziehung zwischen Masse einerseits und Leichtigkeit andererseits aus und ist die Essenz unserer Architektur. Die Schwerkraft fordert auf der einen Seite die Verankerung des Gebäudes im Grund und auf der anderen Seite die Struktur, die ihr entgegenwirkt.

Auch beim Finanzamt in Dublin oder dem Wohnhaus für den Universitätspräsidenten von Limerick findet man dieses Spiel zwischen Masse und Transparenz. Woher kommt das?
Gebäude sind für eine lange Periode gebaut und müssen der Zeit standhalten. Wir glauben fest daran, dass die Struktur entscheidend für ein Gebäude ist. So werden auch beim neuen Gebäude der Wirtschaftsuniversität in Toulouse die sechs vertikalen Erschließungen die ausgehöhlte Masse des Gebäudes tragen und sie gleichzeitig im Boden verankern. Die Entwicklung einer effizienten Tragstruktur erlaubt uns eine große Freiheit in der Raumeinteilung. Der Raum entsteht als der Hohlraum zwischen den massiven Gebäudeelementen. Außerdem lieben wir die Arbeit mit natürlichen Materialien wie Ziegel oder Stein aufgrund ihrer Schwere, aber auch ihrer Oberflächen, Schattierungen, Maserungen und weil ihnen die Geschichte des Ortes ihrer Herkunft inhärent ist.

Du hast gesagt, dass der Ort der Projekte für euch eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Was meinst du damit?
Jeder Ort, jedes Gebäude hat eine singuläre Position auf dem Koordinatennetz der Erde. Das vergessen die Menschen oft. Wir versuchen das durch unsere Architektur wieder in Erinnerung zu rufen, indem wir das Gebäude in einer ganz spezifischen Art positionieren, orientieren und Ausblicke schaffen, die den Ort unterstreichen. So schafft die hohe Glasfassade des Universitätsgebäudes in Mailand die unmittelbare Beziehung zum umliegenden Straßenraum. Die Einzigartigkeit des Ortes stellt für uns quasi das Gegengewicht zur Harmonisierung der Welt durch den Internationalismus dar.
Das Gebäude hat große internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Wart ihr über das Ergebnis selbst überrascht und in welcher Weise?
Das Bocconi Gebäude ist das Ergebnis unserer jahrelangen Überlegungen zum Thema Stadt und der Bedeutung von Universitäten im städtischen Gefüge. Der Auftraggeber wollte eine neue Vebindung der Institution zum historischen Mailand schaffen. Unser Vorschlag platziert diese enorme Aula Magna für 1.000 Personen so, dass sie zu einem „neuen Fenster" zur Stadt wird. Das hat auch den Charakter der Universität und die Beziehung zwischen Bewohnern, Professoren und Studenten verändert. Unser Gebäude schafft einen neuen, einladenden, städtischen Raum, der sich bis ins Innere fortsetzt. Die Menschen sagen, dass das Gebäude, auch durch den traditionell verwendeten Cheppo-Stein an der Fassade und dem hellen Bianca Laza Marmor in den Innenräumen, die Atmosphäre von Mailand sehr gut wiederspiegelt. Wenn man unter der Auskragung der Aula Magna fünf Meter unter Straßenniveau steht, dann fühlt man, wie sich die Masse des Auditoriums im Gleichgewicht mit der Schwerkraft hält.

Ihr gehört zu einem der etabliertesten Büros in Irland. Habt ihr mit eurer Architektur und eurer Arbeit die Architekturdiskussion in Irland beeinflusst?
Möglicherweise, aber das wird erst in der Zukunft beurteilt werden. Ich denke, dass das Wichtigste die Fortsetzung der Diskussion über Architektur, Städtebau und das Bauen allgemein ist, die sicherlich durch die Überschneidung zwischen unseren Lehrtätigkeiten und unserer täglichen Praxis verstärkt wird. Wir haben seit dem Beginn unserer Arbeit in den 1970er Jahren an die Bedeutung von Architektur zur Gestaltung des Lebensraums, aber auch als Kunstform geglaubt. So gesehen sind wir sicherlich Teil dieser Bau- und Architekturkultur.

Wir vergleichen den Architekten oft mit einem Übersetzer. Wir übersetzen Bedürfnisse in Raum.
 

Du glaubst also auch an die Kraft von Architektur, dass sie etwas bewirken kann?
Wichtig ist es, dass der Auftraggeber an die visionäre Kraft der Architektur glaubt, und an die Möglichkeit, dass Architektur außergewöhnliche Räume schaffen kann, die das Verhalten der Menschen verändert. Die Verbindung zwischen dem Auftraggeber und dem Architekten und das Vertrauen in die Arbeit des anderen ist entscheidend.

Ihr habt beide verschiedene Lehraufträge an unterschiedlichen Universitäten. Inwieweit seht ihr den Unterricht als wesentlichen Bestandteil eurer Arbeit?
Alle unsere Büromitarbeiter unterrichten. Das stimuliert den Diskurs über Architektur ungemein und verlangt von uns, dass wir uns positionieren. Es gibt natürlich eine praktische Seite des Unterrichtens, aber wir tun das auch gerne. Wir schätzen es sehr mit der neuen Generation von Architekten und Ingenieuren, die in der Zukunft bauen werden, zu arbeiten und sie auszubilden. Es ist eine sehr seriöse Arbeit. Wir fordern viel von unseren Studenten, auch wenn sie meist noch nicht das technische Knowhow besitzen. Ein gälisches Sprichwort sagt: „Schätze die Jugend und sie wird Erfolg haben".

Was bedeutet Architektur für euch?
Wir vergleichen den Architekten oft mit einem Übersetzer. Wir übersetzen Bedürfnisse in Raum. Es ist eine große Ehre ein Architekt zu sein und zu wissen, dass Menschen uns vertrauen, ihre Bedürfnisse in gebaute Realität umsetzen zu können. Als Architekt hat man einen unglaublichen Blick auf die Welt. Shelley, ich selbst und unser Team wollen die Wichtigkeit und die Schönheit diese Berufes verbinden. Für mich ist Architektur immer stärker der essentielle Ausdruck vom Zusammenleben der Menschen, weil sie das Geld zusammenbringen, den Ort zur Verfügung stellen, das Gebäude bauen. Ich kann an keinen anderen Beruf denken, der so umfassend ist wie Architektur.

Viele Architekten sind nach dem jahrelangen Arbeiten und ständigen Kämpfen sehr kritisch und müde. Es ist außergewöhnlich einen Architekten so positiv über seinen Beruf sprechen zu hören.
Wir wurden als Architekten ausgebildet. Wir lieben unser Metier. Aber keine Sorge, im Alltag macht uns der Beruf völlig verrückt. Bauen wird überhaupt erst durch die Teamarbeit von sehr engagierten und talentierten Menschen möglich. Shelley und ich sind für das Engagement unserer Mitarbeiter sehr dankbar. Es ist sehr schwierig ein Architekt zu sein. Es ist ein sehr verückter Beruf, der mit vielen Schmerzen verbunden ist, so wie eben das Leben allgemein. Jedes Projekt ist wie die Fahrt mit einem kleinen Boot auf dem Atlantischen Ozean. Manchmal gibt es gutes Wetter und dann wieder Sturm, aber mit einer guten Besatzung kann eigentlich nichts schief gehen. Es ist ein harter Beruf, aber ein Beruf mit Bedeutung.

Ein Beruf mit Bedeutung - www.architektur-bauforum.at
Grafton Architects 
 

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