FORUM - INTERVIEW - Atelier Thomas Pucher, Graz/AT
Thomas Pucher © Michael Gries |
Ambitionierter Steirer
Eine Zentralschule in Amstetten, das neue LKH Salzburg, eine Musikakademie in Tallinn, ein Konzerthaus in Warschau, 54 Wohntürme in Tianjin – um nur einige der aktuellen Projekte aus dem Portfolio des Ateliers Thomas Pucher zu nennen – steigern die Neugier, wer sich hinter diesem jungen Atelier in der Steiermark verbirgt, wie derjenige es schafft, zu einem derart beeindruckenden Portfolio an internationalen Großprojekten zu kommen und diese auch planungs- und umsetzungstechnisch zu meistern.
Michael Koller im Gespräch mit Thomas Pucher
Michael Koller im Gespräch mit Thomas Pucher
Wenn man deine Webseite ansieht, fällt sofort auf, dass du
in den vergangenen Jahren sehr viele internationale Wettbewerbe gewonnen
hast. Woher kommt diese Orientierung zum internationalen Markt?
Einer der Gründe, warum wir sehr wenig in der Region gebaut
haben, ist, dass Graz und die Steiermark als Gesamtes, verglichen mit
anderen Städten und Regionen in Westeuropa, eine extrem schwache Dynamik
haben. Die Baukosten sind in Graz gleich hoch wie beispielsweise in
Hamburg, die Mieterträge aber etwa nur die Hälfte. Die Mieterträge
können auch nicht durch die geringeren Grundstückspreise wettgemacht
werden.
Wie schlägt sich das in der Praxis nieder?
Dass wir, auch schon als ich noch Partner bei LOVE
architecture and urbanism war, unglaublich viele Studien gemacht haben,
die aber nie realisiert wurden, oder dass die Qualität der Ausführung
sehr schlecht ist, einfach um Kosten zu sparen.
Das Bürogebäude am Nikolaiplatz ist also die rühmliche Ausnahme?
Das Bürogebäude am Nikolaiplatz ist also die rühmliche Ausnahme?
Auch hier dauerte alleine die Ausschreibungsphase zwei
Jahre. Dazu kam, dass vor der Wirtschaftskrise die Stahlpreise so hoch
waren, der Auftraggeber das Projekt zum Glück aber nicht in einer
Billigvariante realisieren wollte. Deswegen haben wir das ganze Projekt
ein Jahr später, während der Wirtschaftskrise, neu ausgeschrieben und
konnten es letztlich so bauen, wie es von Anfang an geplant war. Es
konnte also nur mit extremen Mühen und mit einem unglaublichen Einsatz
und Zeitaufwand seitens des Auftraggebers und unsererseits umgesetzt
werden.
Du leitest nach wie vor alle Projekte von Graz aus. Hast du nie überlegt, dein Büro zum Beispiel nach Wien zu verlegen?
Eigentlich bin ich in Graz ein bisschen hängengeblieben,
denn anfänglich wollte ich immer weg von hier. Das habe ich auch fast
geschafft, als ich für ein halbes Jahr in die Niederlande gegangen bin
und dort gearbeitet habe. Letztlich habe ich mich aber dazu
entschlossen, zurückzukommen und hier mein eigenes Büro aufzumachen. Der
Vorteil von Graz als Bürostandort ist gerade diese Isoliertheit, die
einen automatisch, wenn man so wie wir die Ambition hat, große Projekte
zu realisieren, zu Projekten im Ausland drängt.
Kannst du vor allem die internationalen Projekte, von denen ihr ja nun eine ganze Menge habt, noch von hier aus managen?
Ja, weil man speziell während der Planungsphasen nicht
ständig vor Ort sein muss. Bis zur Einreichung sind die Termine
natürlich etwas dichter, während Besprechungen in der Ausführungsplanung
kaum mehr nötig sind. Die Ausführung können wir bei den
Auslandsprojekten ohnedies nicht machen, wohl aber die künstlerische
Oberaufsicht. Das lässt sich, auch zu meiner eigenen Überraschung, ganz
gut organisieren. Der Vorteil der Zurückgezogenheit von Graz ist
natürlich, dass man nicht immer erreichbar sein kann und muss und sich
dadurch sehr gut auf seine Arbeit konzentrieren kann.
Ihr habt in den vergangenen drei Jahren erstaunlich viele internationale Wettbewerbe für große Projekte gegen etablierte Büros gewonnen. Nicht zuletzt die Sinfonia Varsovia, wo ihr euch selbst gegen Zaha Hadid oder Nieto Sobejano durchgesetzt habt.
Ihr habt in den vergangenen drei Jahren erstaunlich viele internationale Wettbewerbe für große Projekte gegen etablierte Büros gewonnen. Nicht zuletzt die Sinfonia Varsovia, wo ihr euch selbst gegen Zaha Hadid oder Nieto Sobejano durchgesetzt habt.
Genaugenommen haben wir seit dem Herbst 2010 fast alle
großen Wettbewerbe, an denen wir teilgenommen haben, gewonnen, nicht
jedoch die kleinen, aber das ist natürlich nur Zufall.
Was ist euer Geheimnis?
Durch die Konjunkturschwäche der Steiermark, in der es nie
diesen Bauboom wie in den Niederlanden oder in Dänemark gegeben hat,
haben wir gelernt, immer effizienter zu arbeiten, um die Kosten niedrig
zu halten. Dadurch sind wir extrem scharf und produktiv geworden. Und
das macht sich scheinbar in den vergangenen eineinhalb Jahren bezahlt.
Effizient heißt in diesem Fall?
Das Arbeiten in kleinen Teams, das Umsetzen von präzise und
gut gefällten Entscheidungen. Bei uns werden alle Dinge immer wieder
hart durchdiskutiert, wobei wir permanent versuchen prägnant und
konzentriert zu bleiben. Darin sind wir mittlerweile sehr gut. Wir
kommen bei einer Bauaufgabe sehr schnell auf den Punkt, wissen sehr
schnell, worum es geht, wo das Potenzial eines Projekts liegt und wo man
noch ein Stück weiter gehen kann.
Warum Atelier Thomas Pucher?
Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Bauherren das
Vertrauen zu einer Person und zu einem Architekten suchen und nichts mit
abstrakten Kürzeln verbinden können. Auch international gesehen,
funktioniert das so. Fast alle bekannten, großen Büros tragen den Namen
ihres Gründers. Es ist viel zu schwierig, die Architektennamen hinter
diversen Kürzel zu eruieren. Selbst Atelier ist für die meisten Menschen
international gesehen sehr schwierig einzuordnen, weil man letztlich
nur in Frankreich wirklich etwas mit diesem Wort verbinden kann und
dieses in Beziehung zu einem Architekten bringt.
Ihr werdet in der nahen Zukunft in Salzburg, in Warschau,
in Tallinn, in Jeddah und in China bauen. Die Größe und die Distanz zu
den Orten werden wohl eine gravierende Umstrukturierung eures Büros
verlangen. Wie wirst du das angehen?
Wir sind gerade dabei, hier in Graz eine gute Bürostruktur
aufzubauen, die für die anstehenden Großprojekte tragfähig ist und
wachsen kann. Ich habe momentan rund fünfzehn Mitarbeiter, die ich
selber noch gut betreuen kann. Meine Erfahrung zeigt, dass ich darüber
hinaus Verantwortungen abgeben muss, wofür eben eine gute Struktur
notwendig ist. Mein Ziel ist es natürlich, die Qualität im Entwurf als
auch in der Umsetzung trotz des Wachstums zu halten. Für mich ist es
ganz wichtig, dass ich das Design eines Projekts, im englischen Sinne
des Wortes, als Entwurf, aber auch das Management des gesamten Prozesses
nicht aus der Hand gebe.
Ist Wachstum für dich ein deklariertes Ziel?
Ich möchte auf jeden Fall große Projekte realisieren, weil
ich darin für mich eine Herausforderung sehe, die sehr stimulierend ist.
Bei Großprojekten lernt man mit komplexen Programmen und Strukturen
umzugehen, was ich eben faszinierend finde. Wachstum des Büros ist eher
eine Konsequenz, die sich daraus ergibt.
Du hast offensichtlich eine gute Hand für große Maßstäbe. Das ist ungewöhnlich für ein so junges Büro.
Am schwersten tue ich mich eigentlich mit einfachen
Projekten, wenn keine große Komplexität in der Aufgabe steckt. Dann
finde ich meist zu viele verschiedene Varianten, die alle auf ihre Art
gut funktionieren. Bei den Großprojekten, die wir gewonnen haben, ließen
die städtebaulichen Vorgaben oder die komplexen Programme auf den
ersten Blick eigentlich keine Lösungen zu. Das beste Beispiel dafür ist
das Konzerthaus in Warschau: ein parkartiges Grundstück mit fünf
bestehenden, denkmalgeschützten Gebäuden, die zwar erhalten werden
mussten, aber nicht die nötigen Volumina besaßen, um das gewünschte
Programm unterzubringen. Unser Entwurf reagierte eben auf die Situation,
indem der Neubau die Kulisse hinter den bestehenden Villen bildet, sie
damit nochmals betont und dennoch aufgrund seiner Zurückhaltung die
Neugierde und die Überraschung beim Besucher steigert.
Die Bebauung der Reininghausgründe in Graz sind ein
großes und schon seit Jahren diskutiertes Projekt. Du hast auch hier die
städteplanerische Oberleitung. Was ist deiner Meinung nach der Schlüssel, um mit solchen umfangreichen Stadtplanungsprojekten umgehen zu können?
Der Schlüssel ist, dass man maßstabslos denken kann. Man
muss, egal ob es sich um ein Einfamilienhaus oder um einen Stadtteil
handelt, eine Ordnungsstruktur in das Projekt hineinbringen. Beim
Einfamilienhaus sind es wahrscheinlich zwölf Zimmer, während es bei
einem Städtebauprojekt dann zwölf Stadtteile sind. Jeder ist in sich
natürlich viel komplexer als ein einzelnes Zimmer. Entscheidend ist,
große und komplexe Dinge zu vereinfachen und in einzelne Bereiche
aufzuteilen, damit man sie miteinander verbinden und verschachteln kann.
Herauszufinden, wie die Bereiche dann am besten funktionieren und wie
man sie genau miteinander verbinden kann, ist natürlich ein längerer
Prozess.
Sind für dich Architektur und Städtebau zwei völlig verschiedene Disziplinen?
Für mich ist Städtebau eigentlich nicht anders als
Architektur, außer, dass die Dimensionen natürlich viel größer sind.
Städtebau sehe ich vor allem völlig zweidimensional, während Architektur
für mich dreidimensional ist. Natürlich bringen die Landschaft oder das
Einfügen von höheren Elementen eine dritte Dimension hinein, aber eben
nur sehr begrenzt. Architektur ist meiner Meinung nach bezüglich der
möglichen Raumanordnungen viel leistungsfähiger und komplexer.
Die Darstellungsmethoden der beiden Disziplinen unterscheiden sich grundlegend voneinander, oder?
Städtebau wird fast ausschließlich über den Außenraum
dargestellt, während die Häuser meist weiße Kuben bleiben. Ich glaube,
dass die Qualität eines Gebäudes wesentlich mehr zum Funktionieren des
Bereiches vor dem Gebäude beiträgt als nur der Zwischenraum, seine
Konfiguration und seine Größe. Das Einzelgebäude spielt für die Qualität
eines städtebaulichen Entwurfs eine ganz entscheidende Rolle. Deswegen
finde ich die Trennung zwischen Architektur und Städtebau sehr unpassend
und unlogisch. Das eine geht in das andere über.
Viele eurer Renderings wie zum Beispiel bei der
Musikakademie in Tallinn, dem Efkon-Headquarter in Graz oder dem
Konzerthaus in Warschau suggerieren große, begrünte Freiräume als Teile
eures Entwurfs.
Landschafts- und Freiraumplanung faszinieren mich ungemein.
Grünraum ist mittlerweile in all unseren Projekten ein zentraler
Aspekt. Genau genommen geht es uns um die Schaffung öffentlicher oder
halböffentlicher Räume, die aber per se nicht begrünt sein müssen. Wir
versuchen diesen Plätzen, Gärten oder Parks immer eine spezielle
Bedeutung zu geben, die die Atmosphäre und die Funktion des Gebäudes
unterstreichen. Für uns können diese Außenräume aber auch nicht begehbar
oder leer sein. Wir wollen die Natur auf unerwartete Weise wieder
zurück in die Stadt holen.
Wie hat sich eure Architektursprache seit der Bürogründung vor sechs Jahren verändert?
Unsere Arbeitsweise und Architektursprache entwickeln sich
zunehmend in Richtung einer Reduktion und Präzision und der Suche nach
klaren Grundkonzepten. Je klarer, ruhiger und einfacher die Lösung von
komplexen Bauaufgaben und Programmen ist, desto besser und stärker ist
das Projekt. Alles weitere, die Details und technischen Lösungen etc.,
kann dann leichter von diesem Grundkonzept abgeleitet werden. Die
Architektur und der Grad ihrer Reduktion definieren wir natürlich nicht
im Vorhinein, sie ergibt sich vielmehr im Laufe der Projektentwicklung
durch ein Raffinieren und Destillieren der Bauaufgabe und der
Architektur.
Diese starke Reduktion birgt aber auch die Gefahr der Banalität in sich. Bei der Reduktion ist es meiner Auffassung nach
entscheidend, Elemente zu finden, die die Strenge durchbrechen und damit
dem gesamten Projekt seine Außergewöhnlichkeit verleihen und ihm eine
neue Dimension zuschreiben, die der Benutzer oder Betrachter nicht
erwartet hätte. Daraus entwickelt sich ein Reichtum und eine Spannung,
die wir ganz bewusst suchen und die dem Projekt seine eigene Kraft
geben. Das Kaufhaus Tirol von David Chipperfield ist für mich ein gutes
Beispiel, wie weit man gehen kann, wie viel man weglassen kann. Es ist
aber immer wieder aufregend herauszufinden, wie viel man bei einem
Projekt weglassen muss und welche Details man präzisieren muss, bis es
an der Spitze der Intensität angelangt ist.