FORUM – INTERVIEW – SeARCH, Amsterdam/NL
Bjarne Mastenbroek © Maarten Corbijn |
Fantastischer
Pragmatismus
SeArch
ist Teil einer sehr erfolgreichen, jungen Generation niederländischer
Architekturbüros. Mit der eingegrabenen Villa Vals in der Schweiz,
einen Steinwurf von der Therme Vals von Peter Zumthor entfernt, hat
sich der Gründer Bjarne Mastenbroek in den vergangenen Monaten
wieder in die Erinnerung der Architekturwelt gerufen. Im Gespräch
entpuppt er sich als eine sehr pragmatische Persönlichkeit mit
klaren Ideen über die Funktion der Architektur und des Architekten.
Michael
Koller
im Gespräch mit Bjarne
Mastenbroek
Ich
habe den Eindruck, dass jedes neue Projekt, das SeARCH fertigstellt,
unmittelbar ein Highlight ist. Wie kommt das?
Das
hängt vielleicht damit zusammen, dass wir viele öffentliche
Programme wie ein Museum, ein Café, einen Aussichtsturm oder ein
Konferenzzentrum gebaut haben. Die Erwartungshaltung gegenüber
derartigen Gebäuden ist sehr speziell, und sie ziehen aufgrund ihres
Charakters automatisch das Interesse der Öffentlichkeit an. Außerdem
sieht man bei uns viele experimentelle Bautypen wie unterirdische
Häuser oder Aussichtstürme nicht als Konzeptskizze, sondern als
realisiertes Projekt. Es geht uns aber nicht darum, Highlights zu
produzieren. Wir wollen einfach sehr gute Gebäude entwerfen und
realisieren, die die Menschen wirklich genießen können. Das ist
unsere Leidenschaft.
Eure Architektursprache kann auch als sehr provokativ interpretiert werden.
Ich
denke schon, dass ein Gebäude auch Widerstand und Kritik hervorrufen
darf, und nicht nur dienbar, komfortabel, effizient und
wirtschaftlich sein muss. Diese Typen von generischen Gebäuden haben
wir in den letzten Jahrzehnten oft genug gesehen. Und selbst wenn sie
einfach zu realisieren erscheinen, werden sie durch ihre Benützer
vielfach als charakterlose Hüllen angesehen. Ich denke, dass die
emotionelle Seite von Gebäuden viel wichtiger ist als ihr
wirtschaftlicher Wert.
Aber gerade die Niederländer besitzen das Image, sehr pragmatisch, rationell und wirtschaftlich zu denken und zu arbeiten.
Funktionalität,
Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind aber nicht alles. Ich bin auch
davon überzeugt, dass da momentan in den Niederlanden vieles falsch
läuft.
Wenn man auf eure Webseite geht, gewinnt man den Eindruck, dass ihr seit der Krise noch mehr zu tun habt als davor.
Architektur
ist eine langsame Disziplin. Die Projekte, an denen wir momentan
arbeiten, sind Projekte, mit denen wir schon vor der Krise begonnen
haben. Aber auch wir sind durch die Krise schwer getroffen, weil nun
schon seit geraumer Zeit keine neuen Aufträge mehr hereinkommen.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Architekt im Bauprozess?
Der
Architekt ist die Person, die die integrale Geschichte eines Gebäudes
kennt und versteht, wie alle Einzelteile gemacht gehören und
zusammenpassen müssen. Darum finde ich es auch so wichtig, bis zur
Schlüsselübergabe dabei zu sein. Ich habe oft miterlebt, dass in
der Ausführung Fehler gemacht werden, vor allem in den letzten drei
Monaten vor der Fertigstellung. Oft werden bei den Abschlussarbeiten
die Anstrengungen mehrerer Jahre der intensiven Planung und
Detaillierung kaputt gemacht. Für mich ist das wie beim Essen in
einem Restaurant: Nur wenn alles vom Einkauf der Produkte bis zur
sorgfältigen Präsentation der Speisen funktioniert, wird es dem
Gast schmecken. In der Architektur ist es dasselbe, und der Architekt
ist der Einzige, der das garantieren kann und muss.
Hat Ihrer Meinung nach der Architekt genug Macht, um in die Beschlussprozesse einzugreifen.
Nein,
nicht immer. Aber ich muss als Architekt auch dazu bereit sein, Nein
zu sagen, wenn ich sehe, dass das Projekt nicht gut wird. Genauso
finde ich, dass ein guter Entwurf und gut gemachte Arbeit ihren Preis
haben, den auch der Projektentwickler bereit sein muss zu zahlen.
Als
Architekt muss man deutlich machen, was man will und wesentlich
findet, und auch daran festhalten. Das verstehe ich unter gutem
Bauen. Das ständige Verhandeln der Dinge führt meiner Erfahrung
nach zu nichts, dann wird vom Architekten meist Kreativität in der
Anpassung an die unterschiedlichsten Wünsche gefordert. Kreativität
hat damit überhaupt nichts zu tun, das Wort bedeutet nichts für
mich. Es geht um das Fällen von Entscheidungen und das Wissen, was
man als Architekt will.
Der
Architekt ist jene Person, die die integrale Geschichte eines
Gebäudes kennt und versteht, wie alle Einzelteile gemacht gehören
und zusammenpassen müssen.
Sollte der Architekt also auch Aufträge ablehnen? Das verlangt eine sehr mutige Haltung.
Das
Risiko ist natürlich, einen Auftrag zu verlieren, auf der anderen
Seite glaube ich, dass der Architekt diese Pflicht gegenüber der
Gesellschaft, für die er letztlich baut, hat. Es ist auch wichtig zu
wissen, wo die Grenze des Akzeptablen liegt. Von einem Bäcker oder
einem Chirurgen erwarten wir auch, dass er eine perfekte und
vollständige Arbeit macht. Warum verlangt man dann von Architekten,
halbfertige Dinge zu akzeptieren?
Eure Projekte unterscheiden sich in deren Erscheinung sehr stark voneinander, und dennoch scheint mir die patchwork-artige Architektur, die Verwendung vieler verschiedener Materialien und Elemente sowie das gekonnte Spiel mit verschiedenen Ebenen ein roter Faden eurer Architektursprache zu sein.
Man
darf sich nicht zu stark von der visuellen Form der Architektur
beeinflussen lassen. Architektur ist etwas für alle Sinne. Es ist
ganz entscheidend, Projekte auf allen Niveaus zu entwickeln, auf
städtebaulichem Niveau, ihre Einbindung in die Natur, die Beziehung
von innen nach außen, ihre Funktionalitäten etc. Nur so wird jede
neue Planungsaufgabe zu neuen Lösung führen. Wir wollen den Entwurf
so lange wie möglich offen und breit halten und uns nicht sofort in
unseren Entscheidungen festlegen. Wir wollen uns nicht von vornherein
auf eine bestimmte Formensprache oder Materialwahl festlegen, das
finden wir nicht interessant.
In der Tat scheinen euren Projekten sehr viele verschiedene Ideen zugrunde zu liegen.
Ganz
im Gegenteil: Bei der Villa Vals oder beim Kongresszentrum Favrholm
in Hillerød in Dänemark reagieren wir in erster Linie auf die
Topografie der Landschaft und die Bedingungen, die sie uns aufzwingt.
Danach versuchen wir optimale und praktische Lösungen für die
Randbedingungen zu finden. Daraus ergeben sich Höhenversprünge, die
Materialwahl für die Fassade, die unterschiedlichen Fenstergrößen
etc. Das hat nichts mit Kreativität zu tun, sondern einfach mit der
intensiven Auseinandersetzung mit dem Projekt, dem langen Arbeiten
und Suchen nach Lösungen, bis die Dinge zusammenpassen und
ineinandergreifen. So entsteht ein Zuckerl wie die Villa Vals.
Das klingt sehr einfach.
Ja
und nein. Diese sehr praktischen und funktionellen Überlegungen
sprechen uns natürlich nicht von der Verpflichtung frei, dem Bauwerk
eine gute und schöne Form zu geben. Wir versuchen durch unsere
Architektur immer sowohl dem Gebäude als auch seiner unmittelbaren
Umgebung einen Mehrwert hinzuzufügen.
Gibt es da noch so etwas wie ideologische Meister?
Das
ist von den Projekten abhängig, für die wir gerade arbeiten.
Außerdem muss man die Architekten immer klar in ihrem zeitlichen und
örtlichen Kontext betrachten. Baragan finde ich sehr interessant,
weil er es geschafft hat, mit geringen Mitteln maximale Effekte zu
erzielen und diese immer sehr gut zu plazieren. Ich finde, dass er
einen sehr demokratischen Ansatz in der Architektur hatte, der nicht
erkennen lässt, ob ein Gebäude teuer oder billig ist. Ein Kloster
hat denselben Stellenwert wie ein Rathaus oder eine Villa. Das finde
ich interessant, weil das auch Lösungen aufzeigt. Ich finde es
wichtig, dass man den Anspruch an qualitätsvolle Architektur an alle
Gebäude, die die Gesellschaft benötigt, stellt und nicht allein an
öffentliche und repräsentative Bauten.
Es
geht uns nicht darum, Highlights zu produzieren. Wir wollen einfach
sehr gute Gebäude entwerfen und realisieren, die die Menschen
wirklich genießen können. Das ist unsere Leidenschaft.
Sie haben für viele Projekte im In- und Ausland mit anderen Architekturbüros wie OMA, JDS, oder Christian Müller zusammengearbeitet. Steckt da eine Philosophie dahinter? Machen Sie das aus einem bestimmten Grund?
Auch
das tun wir aus sehr praktischen Gründen, um die Expertise von
mehreren Büros zusammenzubringen. Die europäischen Ausschreibungen
sind meist so komplex, dass man als einzelnes Architekturbüro allein
kaum antreten kann. Aber wenn es möglich ist, machen wir Projekte
auch selbst wie zum Beispiel das Konferenzzentum in Dänemark. Da
hatten wir auch keinen lokalen Partner. Wir haben das gesamte Projekt
von Amsterdam aus geleitet. Ich bin der Meinung, dass man das Team so
kompakt wie möglich halten muss und allein die Personen involvieren
soll, die das Projekt wirklich voranbringen.
Ist es auch eine ganz bewusste Wahl von Ihnen, in anderen Ländern und anderen Kulturen zu arbeiten?
Das
hängt von den Projekten und der Auftragslage ab. Es geht uns primär
darum, interessante Programme zu entwerfen. Wenn ich sehe, dass der
niederländische Markt zu klein ist, dann versuche ich in anderen
Ländern zu arbeiten, wobei es mir lieber ist, ein schönes Projekt
in Amsterdam zu bauen als ein schlechtes in New York. Im Sinne des
nachhaltigen, ökologischen Bauens ist es natürlich besser, im
Umkreis von Amsterdam zu arbeiten, im Ausland versuchen wir dann
mehrere Projekte zu kombinieren, um die Reisen noch effizienter zu
machen.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie, woher kommt Ihr persönliches Engagement dafür?
Nachhaltigkeit
hat in erster Linie mit dem Treffen von intelligenten Entscheidungen
zu tun. Wenn man versucht, Geld zu sparen, dann muss man automatisch
nachhaltig denken, das heißt, Produkte kaufen oder Dinge bauen, die
lange Lebensdauer und hohe Qualität haben, die wenig Wartung
benötigen, die wenig Energie verbrauchen oder die man auch selbst
reparieren kann. Es hat sehr stark mit bewusstem Leben zu tun.
Das versuchen Sie auch in Ihrer Architektur umzusetzen?
Wir
haben schon vor zwanzig Jahren damit begonnen, Projekte in einer
integralen und nachhaltigen Weise im Sinne der sozialen Kohäsion zu
entwerfen. Die Durchmischung von Miet- und Eigentumswohnungen,
Wohnensembles, die dazu animieren, das Auto nicht zu gebrauchen,
Innenhöfe, Verbindungen zu Parkanlagen sind Elemente, die diese
Diversität fördern. SeArch ist auch ein Büro für Landschafts- und
Stadtplanung. Ich komme selbst aus einer Gegend in den Niederlanden,
in der es viele Wälder gibt. Für mich war die Beziehung des
Gebäudes zu seiner unmittelbaren Umgebung, zur Landschaft, in der es
steht, immer essenziell. Wir versuchen, so weit es geht, die
Landschaft ins Gebäude hineinzuholen.
Viele
eurer Gebäude wie der Posbank-Teepavillon, der Aussichtsturm in
Putten oder das Kongresszentrum in Dänemark stehen ja auch in einer
fantastischen Umgebung.
Ja,
hier versuchen wir, die Gebäude dazu zu nutzen, die Besucher auf die
Natur aufmerksam zu machen, von der sie umgeben sind, auch was die
verwendeten Materialien anbelangt. Ich bin sehr für nachhaltige
Landschaften. Ich denke, dass man die noch bestehende Landschaft so
wenig wie möglich verbauen darf. Und wenn man das tut, muss sie um
vieles besser werden als zuvor. Für die Zukunft müssen wir echt
etwas liefern, dass besser ist als das, was nun existiert.