FORUM – INTERVIEW – Claus en Kaan architecten, Rotterdam/NL
Kees Kaan © Hannes Ochmann |
Die richtige Entscheidung
Nach
Jahren erfolgreicher Praxis und der Realisierung einer Vielzahl von
richtungsweisenden Gebäuden weiß Kees Kaan heute, dass man gute
Architektur per se nicht entwerfen kann, sondern dass es in erster
Linie entscheidend ist, mit diesem Anspruch vor Augen zu arbeiten.
Gute Gebäude entstehen seiner Meinung nach durch konzentriertes
Arbeiten und durch das permanente Treffen von (richtigen)
Entscheidungen. Ob ein Gebäude als beispielhafte Architektur
bewertet wird, erweist sich später.
Michael
Koller
im Gespräch mit Kees
Kaan
Wenn
sich die Lifttüren zu eurem Büro öffnen, fällt der erste Blick
auf ein prächtiges Foto deines Segelschiffes mit seiner Bemannung.
Wenn man danach die unterschiedlichen Büroräume betritt, wird die
Aufmerksamkeit immer wieder auf diesen fantastischen Ausblick über
die Maas und auf die Transportschiffe gezogen, die ununterbrochen
stromauf und -abwärts fahren. Deine Verbindung zum Wasser und zu
Schiffen ist offensichtlich sehr stark.
Segeln
ist mein Hobby. Ich habe sehr früh zu segeln begonnen und betreibe
es heute als Sport, um an Wettkämpfen teilzunehmen. Es erfordert
eine enorme Konzentration, wodurch man darin völlig aufgeht. Segeln
kann man natürlich nicht direkt mit meiner Arbeit als Architekt
vergleichen. Das Anziehende und Interessante dabei ist allerdings,
dass man es mit einer ähnlichen Komplexität zu tun hat wie bei
einem Entwurf, wo es sehr viele Randbedingungen und Parameter zu
bedenken gibt. Gleichzeitig schafft es eine große Distanz zu allem,
was mit Architektur und Stadt zu tun hat, wodurch ich mich mental
völlig von meiner täglichen Arbeit als Architekt frei machen kann.
Immer wieder Abstand zu deiner täglichen Arbeit zu bekommen ist also wichtig für dich?
Für
uns beide, also auch für Felix Claus, war es immer wichtig, einen
sicheren Abstand zu unserem Beruf zu wahren, um nicht einem
Selbstverwirklichungsdrang zu verfallen. Ich denke, dass man durch
den Abstand die generischen Qualitäten der Dinge findet. Und es
hilft auch bei der Zusammenarbeit, auf die unsere Arbeitsphilosophie
aufbaut. Wir haben aber nicht nur innerhalb unseres Büros das
Zusammenarbeiten angestrebt, sondern auch außerhalb, was vor allem
für die Arbeit des Architekten so wichtig ist. Das sind Qualitäten,
die mir nun zugute kommen, vor allem bei Projekten in
unterschiedlichen Planungskulturen.
Architektur war eigentlich deine zweite Wahl.
Die
Berufswahl hat natürlich mit persönlichen Referenzen zu tun. Meine
Referenz waren nicht große Städte, sondern die Landschaft von
Zeeland, einer Region im Südwesten der Niederlande, die durch ihr
ausgedehntes Delta mit Dämmen und Deichen geprägt ist. Ich war sehr
früh von diesen ingenieursmäßigen Konstruktionen fasziniert und
wollte bei der Konstruktion solcher Ingenieurlandschaften mitmachen.
Also schon bauen, aber eher das Bauen von Infrastruktur. An der
Universität fand ich die Arbeitsmethoden und die Inhalte des
Architekturstudiums dann aber doch interessanter und wechselte
deshalb von den Bauingenieuren zu den Architekten.
Die neueste Publikation eurer Arbeiten trägt den Titel „Der Ideale Standard”. Standard wird sehr oft negativ gesehen.
Standard
sehe ich hier als Maßstab, als Richtlinie, als etwas, was bereits
ein hohes qualitatives und funktionelles Niveau besitzt. Es
beschreibt etwas, das so gut und universell einsetzbar ist, dass es
zu einem Standard werden kann, weil es die Qualitäten besitzt, die
einen Standard per se ausmachen.
Ein Beispiel?
Nehmen
wir als Beispiel den Anzug: Bei der morgentlichen Auswahl der
Kleidung kann man etwas anziehen, das auf eine sehr spezifische
Gelegenheit zugeschnitten ist. Der Anzug hingegen ist beinahe ein
Ideal, weil er bei unterschiedlichsten Gelegenheiten gleichermaßen
passt: bei der täglichen Arbeit, bei repräsentativen Gelegenheiten
oder beim Unterrichten. Er ist immer komplett, korrekt, schön,
komfortabel und gleichzeitig aufgrund seiner Universalität ein
Standard. Dadurch, dass der Anzug also an sich schon ein ideales
Kleidungsstück ist, kann man beginnen, über seine Perfektionierung
nachzudenken.
Und wie kann man das nun in der Architektur verstehen?
Die
Erreichung eines idealen architektonischen Standards ist definitiv
nicht das Motiv oder die Motivation unserer Arbeit. Das wäre eine
völlige Fehlinterpretation.
Wir arbeiten heute in einem Planungskontext, der durch eine unsichere politische Machtbeständigkeit und der daraus resultierenden kurzen Entwurfszeitspannen gekennzeichnet ist. Darauf können wir entweder mit spezifischen, auf den Moment zugeschnittenen Lösungen antworten oder mit allgemeineren Antworten, also mit Gebäuden, die einen eigenständigen Charakter besitzen, die ihre Bedeutung durch ihren Gebrauch und ihrer Funktion innerhalb der Stadt erlangen. Solche Gebäude sind von den alltäglichen Unsicherheiten befreit.
Ein Gebäude kann sich unserer Meinung nach von den programmatischen Anforderungen, aus denen es ursprünglich entstanden ist, befreien und zu einer Matrize werden. „Idealer Standard“ ist also der Wert, der die konkreten und alltäglichen Anforderungen und Wünsche des Auftraggebers noch übersteigt. Man könnte auch sagen, dass sich das Gebäude vom Geist seines Schöpfers befreit.
Der
Entwurfsprozeß beteht im Suchen nach den allgemeinen Werten und dem
Ausschließen von Willkür und persönlichen Vorlieben. Je bewußter
man dieses Auswählen betreibt, desto stärker wird das Bild eines
Gebäudes.
Das Schwierigste als Entwerfer ist demnach, zwischen all den verschiedenen Möglichkeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Der
Entwurfsprozess besteht im Suchen nach den allgemeinen Werten und dem
Ausschließen von Willkür und persönlichen Vorlieben. Je bewusster
man dieses Auswählen betreibt, desto stärker wird das Bild eines
Gebäudes. Aber wie radikal man sich an die Aufgabe begibt, ist eine
Entscheidung, die bei jedem Auftrag neu abgewogen werden muss.
Manchmal ist auch Willkür angemessen. Jedes Projekt besitzt einige
Hauptelemente und prioritäre Aspekte, und um diese wird das Gebäude
entwickelt. Das kann eine bestimmte Materialwahl sein, eine bestimmte
räumliche Organisation oder ein Spiel mit dem Maßstab. Diese
Hauptthemen werden zur Essenz und zur treibenden Kraft des Projekts
und verleihen ihm seinen Charakter. Hat man das einmal definiert,
entwickelt sich das Projekt kontinuierlich weiter, ohne dass der
Architekt viel daran tun muss. Die Arbeit des Architekten ist primär,
Hierarchien zwischen wichtigen Elementen aufzustellen und demgemäß
den Entwurf zu entwickeln.
Das heißt, je weniger Themen es gibt, desto kraftvoller wird die Ausstrahlung eines Gebäudes?
Ein
Entwurf entsteht nicht von selbst. Wenn es für einen Entwurf
dutzende Randbedingungen und Voraussetzungen gibt, die man versucht,
alle hineinzupacken, so wie in einem Puzzle, dann kommt bei dem
Entwurf nichts heraus. Das Entscheidende ist zuerst, eine
Grundhaltung gegenüber der Planungsaufgabe einzunehmen.
Die Kombination zwischen der Grundhaltung des Architekten und der Wahl der prioritären Randbedingungen bringt das Projekt Schritt für Schritt voran, bis das Gebäude fertig ist. So zu arbeiten und unser Fach nicht für unseren eigenen Ruhm und unsere Glorie zu missbrauchen, sind Teil unserer persönlichen Haltung und gehören zu den wichtigsten Entscheidungen, die wir als Architekten zu treffen haben.
Die Kombination zwischen der Grundhaltung des Architekten und der Wahl der prioritären Randbedingungen bringt das Projekt Schritt für Schritt voran, bis das Gebäude fertig ist. So zu arbeiten und unser Fach nicht für unseren eigenen Ruhm und unsere Glorie zu missbrauchen, sind Teil unserer persönlichen Haltung und gehören zu den wichtigsten Entscheidungen, die wir als Architekten zu treffen haben.
International hat man in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder Vergleiche mit den niederländischen Architekten gezogen. Was ist deiner Meinung nach so herausragend an ihnen?
In
den Niederlanden gibt es eine lange Planungstradition, in der die
Architekten sehr stark in die Entwicklung von Stadtbauplänen, von
Infrastruktur-, von Landschaftsplanung etc. involviert sind. Die
Kompetenzen des Architekten waren sehr gefragt, eben auch, weil
Architektur als etwas gesehen wird, das für die Gesellschaft sehr
wesentlich ist, und vom Staat Planung und Architektur dazu benutzt
werden, um sich selbst sichtbar zu machen.
Hat es deiner Erfahrung nach Verschiebungen in den Aufgabenbereichen des Architekten gegeben?
Ich denke, dass es eine klare Verschiebung der Bedeutung der einzelnen Phasen innerhalb des Bauprozesses gibt vor allem in Richtung Entwurfsphase. Wir werden als Architekten immer mehr bei der Umsetzung von anderen Bauaufgaben, namentlich Infrastrukturprojekten, hinzugezogen und sind viel stärker im Vorfeld des eigentlichen Planungsprozesses gefragt.
Aber worin besteht da die Aufgaben des Architekten?
Einerseits
kann da der Architekt als Entwickler von Initiativen und Ideen seinen
Beitrag leisten. Andererseits kann er durch das Darstellen von
Szenarien und Konsequenzen, sei das nun in städtebaulicher Hinsicht
oder beim Bau eines Gebäudekomplexes, die Gespräche der betroffenen
Planungsparteien vorantreiben und effizienter machen. Er kann durch
das Erstellen von Entwicklungsmodellen das sonst nicht Greifbare
sichtbar machen und die Suche nach Kompromissen zwischen den Parteien
erleichtern. Gerade Stadtentwicklungsprojekte sind so komplex, dass
die Planungsinstanzen und Entscheidungsträger Werkzeuge benötigen,
um ihre Anliegen zu kommunizieren, und da sind Architekten sehr
wichtig und können viel dazu beitragen. Das geht zum Teil so weit,
dass die Darstellungen Teile der Projektverträge werden.
Wir
Architekten arbeiten heute in einem Planungskontext, der durch eine
unsichere politische Machtbeständigkeit und der daraus
resultierenden kurzen Entwurfszeitspannen gekennzeichnet ist.
Auf der anderen Seite gibt es viele niederländische Architekten, die wieder stärker beim Bau selbst involviert sein wollen.
Der
Architekt spielt am anderen Ende des Bauprozesses, an der Umsetzung
und Ausführung, eine andere Rolle. Er ist nicht marginalisiert
worden, aber seine Rolle hat sich verändert, weil sich der Bauplatz
selbst zu einem Ort des Zusammensetzens von andernorts produzierten
Einzelteilen entwickelt. Das heißt, der Architekt ist in der
Ingenieursphase sehr wichtig, in der Vorbereitungs- und
Produktionsphase, weil er vor Ort die Dinge nicht mehr verändern
kann.
Worin besteht für dich der Reiz und die Motivation, auf europäischem Niveau zu arbeiten?
Unsere
Arbeitshaltung ist auf die Verpflichtung unseren Arbeitgebern
gegenüber und dem Engagement am Projekt aufgebaut. Wir wollen nicht,
dass das etwas Abstraktes bleibt und versuchen daher immer die
Projektentwicklung so genau wie nur möglich mitzuverfolgen. Das,
aber auch die Projektentwicklung selbst, benötigt viel Zeit, und
diese Zeit hat man bei der Arbeit in Europa noch. Zusätzlich gibt es
für mich da eine kulturelle und ideologische Motivation: Wenn wir
schon täglich über Europa sprechen, dann sollten wir uns auch als
Europäer verhalten und versuchen, in Deutschland, Spanien, Italien
etc. Projekte zu realisieren, auch um tief in diese Baukulturen
einzutauchen.
Claus en Kaan ist aufgrund seiner Mitarbeiterstruktur ja schon ein europäisches Büro, wie kommt das?
Wenn
man als niederländisches Büro die Möglichkeit hat im eigenen Land
viel zu bauen, erfüllt man meist die Voraussetzungen, um an
internationalen Wettbewerben teilzunehmen. Außerdem hat der
niederländische Bauboom seit den 1990er-Jahren sehr viele
internationale Architekten angezogen, die in großen Büros wie dem
unsrigen gearbeitet haben und über die wir dann wieder die Kontakte
ins Ausland knüpfen. Diese internationale Orientierung ist also für
mich etwas sehr Normales und nichts Außergewöhnliches, vielleicht
einfach auch deswegen, weil es schon immer Teil der niederländischen
Kultur war. Für mich ist es auch eine logische Konsequenz der
Entwicklungen und Veränderungen unserer Gesellschaft.
Ihr habt bereits eine unglaubliche Vielzahl unterschiedlichster Gebäudetypen realisiert. Welche zukünftigen Herausforderungen siehst du da noch für dich?
Programmatisch
gesehen interessieren mich aufgrund ihres öffentlichen Charakters
vor allem Infrastrukturprojekte wie Brücken oder Bahnhöfe, also
Gebäude, in denen der öffentliche Raum Teil des Gebäudes ist.
Daneben liegt mir die Arbeit auf internationalem Niveau sehr am
Herzen, das ist ein Bereich, in den ich noch weiter investieren will.
Das ist uns zum Teil bereits in Spanien und Frankreich geglückt,
steckt aber trotzdem noch ein bisschen in den Kinderschuhen.
Willst du da eher auf architektonischem oder städtebaulichem Niveau arbeiten?
Mit
El Prat in Barcelona haben wir nun ein sehr großes Städtebauprojekt,
das wir gewonnen haben und an dem wir nun arbeiten. Ich denke, dass
die Niederlande noch mehr für die Städtebauplanung bekannt sind als
für die Architektur und dass es da eine echte Chance gibt, auch
verstärkt im Ausland zu arbeiten.