FORUM – INTERVIEW – Erick van Egeraat, Rotterdam/NL
Erick van Egeraat © Hilbert Krane |
Konstruktion
& Komplexität in der Architektur
Erick
van Egeraat wurde in Österreich Anfang der 1990er-Jahre mit dem
spektakulären Umbau eines klassizistischen Gebäudes zum Hauptsitzes
der ING-Bank in Budapest bekannt. Nach dem Neustart seines Büros
unter dem Namen (designed by) Erick van Egeraat ist er heute in
Osteuropa, namentlich in Russland, aktiver als je zuvor. Eine
Neuaufnahme seiner Designpraxis.
Michael
Koller
im Gespräch mit Erick
van Egeraat
Wenn
ich Ihre Architektur betrachte, würde ich von einer skizzenartigen
Ästhetik sprechen. Sie ist durch eine sehr differenzierte
Oberflächengestaltung gekennzeichnet, die große Volumina visuell
verkleinert und jegliche Monumentalität von vornherein unmöglich
macht. Stimmt das?
Ja,
das ist sicherlich ein wesentlicher Bestandteil meiner Entwürfe. Es
ist tatsächlich so, dass ich Skizzen mache, die dann ziemlich
konsequent umgesetzt werden. Mit dieser vielschichtigen Unterteilung
gelingt es uns, Übergänge zwischen Gebäuden unterschiedlicher
Stile und Volumina zu machen. Das ist vor allem wichtig, wenn wir im
städtischen Kontext oder im historischen Bestand arbeiten. Zwei gute
Beispiele sind das ING-Headquarters in Budapest oder der Entwurf für
die Erweiterung des Budapester Rathauses.
Mit den Skizzen stelle ich einfach und klar dar, wie das gesamte Gebäude funktioniert, welche Rolle es spielt und welchen Charakter es haben soll. Gleichzeitig erkläre ich dem Bauherrn damit, wozu ich das so mache. Aber der Bauherr weiß natürlich bei mir auch, dass er es am Ende so bauen muss.
Mit den Skizzen stelle ich einfach und klar dar, wie das gesamte Gebäude funktioniert, welche Rolle es spielt und welchen Charakter es haben soll. Gleichzeitig erkläre ich dem Bauherrn damit, wozu ich das so mache. Aber der Bauherr weiß natürlich bei mir auch, dass er es am Ende so bauen muss.
Eines
Ihrer aktuellsten Projekte, das Bürohochhaus in Südamsterdam, ist
für mich beispielgebend für die Vielfalt und Dichte von
Materialien, Stilelementen und Linien, die Ihre Architektur allgemein
auszeichnet, sowohl im technischen als auch im entwerferischen Sinn.
Es
sind nicht primär die Materialien, sondern die Linienführungen, an
denen wir arbeiten. Wir versuchen immer, die Linienführung zu
reduzieren, sodass sie streng ist, aber keinem erkennbaren,
mathematischen Rhythmus folgt. Das ist eine Herangehensweise und
Entwurfsmethode, in der wir mittlerweile ganz gut sind. Das kann
schnell zu einfach werden, aber wenn man es zu sehr verspielt, ist es
natürlich auch nicht mehr interessant. Es geht darum, die richtige
Balance zu finden.
Sie sind aber auf jeden Fall ein Kritiker minimalistischer Architektur?
Ich
habe minimalistische Architektur immer infrage gestellt. Sie
erscheint mir zu reduktiv, zu schnell gedacht und manchmal zu einfach
konzipiert. Für mich geht minimalistische Architektur aber vor allem
an der Frage vorbei, wie man Komplexität und Diversität gestaltet.
Ich verstehe nicht, warum viele Architekten zwanghaft versuchen, die
Schönheit und Vielfältigkeit zu reduzieren. Ich kann ihren
gedanklichen Prozess nicht nachvollziehen und verstehe nicht, was das
Tolle und Schöne an einem Quadrat ist.
Die
Arbeit mit dem Computer hat die Realisierung Ihrer komplexen und
vielschichtigen Architektur sicherlich ungemein unterstützt?
Nein,
nicht wirklich. Die Computerprogramme sind eigentlich nie
ausreichend. Wir arbeiten nun schon seit 20 Jahren nur mit Computern,
und es war vielfach ein Kampf gegen den Computer. Der Computer
zeichnet für mein Verständnis zu geometrisch und ist auf die
Wiederholung und auf mathematischen Formeln basiert. Was mich
interessiert, ist die Veränderung bei der Wiederholung von
Elementen, sodass sie zwar ähnlich, aber nicht ident sind. Sie
müssen also leichte Variationen voneinander darstellen, sodass die
Wiederholung nicht oder nicht direkt sichtbar ist. Diese Qualität zu
entwerfen und zu bauen ist selbst mit der heutigen
Computertechnologie sehr schwierig.
Wenn
man die Gebäude der letzten Jahre ansieht, hat man den Eindruck,
dass das Außergewöhnliche immer perfekter und konsequenter
durchexerziert wird? Wie schafft ihr es denn, derartig komplexe
Projekte zu realisieren?
Die
Suche nach der Perfektion begeistert mich. Wenn ich ein Gebäude mit
einer sehr reduzierten Architektur entwerfe, weil das eben der Klient
so will, habe ich kein Problem damit. Dann versuche ich allerdings
spezielle Türen oder Fenster zu entwickeln oder besonders dicke
Wände etc. Das ist natürlich sehr viel Arbeit. Die Fassaden des
Bürohochhauses in Amsterdam wurden dutzende Male gezeichnet. Die
erste Entwurfsskizze wurde mit jeder Projektphase weiter verfeinert.
Das war auch für den Projektentwickler und die Baufirmen ziemlich
komplex. Wir mussten die Fassaden auch mehrere Male verändern, aber
wir konnten nicht einfach an irgendeiner Stelle die Komplexität
herausnehmen, ohne wieder von vorn anzufangen.
Kann
man sagen, dass Sie Anhänger einer sehr organischen, an die Natur
angelehnten Architektur sind?
Ich bin kategorisch gegen das Einordnen und Reduzieren meiner Arbeit auf einen Stil, das ist mir viel zu simpel und banal. Diese absolutistische Unterteilung in gut und schlecht, schön und hässlich wird letztlich immer nur von Architekten praktiziert und führt meiner Meinung nach zu nichts und sagt nichts über die Architektur selbst aus. Ich finde den Barock in seiner Überladenheit genauso faszinierend wie die Formenvielfalt und Komplexität des Jugendstils. Auch den Modernismus finde ich interessant. Wir verwenden in unserer Architektur, abhängig vom jeweiligen Projekt und dem Klienten, immer wieder modernistische Elemente, damit habe ich kein Problem. Ich verstehe allerdings nicht, warum ich einen Supermodernismus entwickeln sollte, darin finde ich keinen Mehrwert.
Ich bin kategorisch gegen das Einordnen und Reduzieren meiner Arbeit auf einen Stil, das ist mir viel zu simpel und banal. Diese absolutistische Unterteilung in gut und schlecht, schön und hässlich wird letztlich immer nur von Architekten praktiziert und führt meiner Meinung nach zu nichts und sagt nichts über die Architektur selbst aus. Ich finde den Barock in seiner Überladenheit genauso faszinierend wie die Formenvielfalt und Komplexität des Jugendstils. Auch den Modernismus finde ich interessant. Wir verwenden in unserer Architektur, abhängig vom jeweiligen Projekt und dem Klienten, immer wieder modernistische Elemente, damit habe ich kein Problem. Ich verstehe allerdings nicht, warum ich einen Supermodernismus entwickeln sollte, darin finde ich keinen Mehrwert.
Als Architekten haben wir die Aufgabe, dauerhafte Werte zu schaffen. Das tut man nicht nur, indem man starke Ideen kreiert, sondern auch, indem man dafür sorgt, dass sie entsprechend umgesetzt werden.
Ihr
habt sehr viele Projekte in Russland. Eines der auffälligsten sind
die fünf Wohntürme in Moskau, das ist ein klares Statement zur
russischen Avantgarde. Zeigt eure Architektursprache
avantgardistische Elemente? Ist das der Grund eures Erfolges in
Russland?
Vielleicht
ist unsere Architektur wirklich von der Avantgarde beeinflusst. Für
mich repräsentierte die russische Avantgarde, die Malerei und die
Musik von Schostakowitsch Russland und die russische Kultur. Deswegen
ist die Architektur so entworfen, dass jeder der Türme eine Referenz
für eines der Gemälde der Maler der Periode des Kandinskys,
Rodtschenkos oder Malewitschs ist. Ich habe natürlich gehofft, dass
das vor Ort auf eine gewisse Resonanz stößt, was es in
intellektuellen Kreisen auch tat. Das Projekt war eine Art
Brückenschlag zwischen West- und Osteuropa. Dem Auftraggeber gefiel,
wie ein Westeuropäer aus dem russischen Modernismus etwas Neues
entwickelte.
Aber
das wird wohl ein unrealisiertes Projekt bleiben so wie das
gigantische Stadtentwicklungsprojekt Federation Island in Sotschi.
Es
ist für mich kein Problem, wenn manche dieser Projekte nicht
realisiert werden. In Russland bin ich auch immer von den
Auftraggebern bezahlt worden. Sotschi war sicherlich der Hochpunkt
der Spekulation und ließe sich nur in einer extremen
Hochkonjunktur bauen.
Was
muss oder wird sich Ihrer Meinung nach durch die Krise in der
Architektur verändern?
Ich glaube, dass wir als Architekten ein bisschen selbstkritischer gegenüber unseren Ansprüchen und der Qualität unserer Gebäude werden müssen. Die heutige Finanzkrise wird uns glücklicherweise näher an die Frage nach dem wirklichen Wert des realisierten Produkts bringen. Das heißt nicht, dass das, was vor 2008 entworfen und gebaut worden ist, schlecht war, aber es war sehr viel Spekulationsarchitektur, die dazu diente, ein finanzielles Szenario zu initiieren und nicht, um es wirklich zu bauen. Gerade unsere schnelllebige Zeit verpflichtet uns dazu, uns verstärkt mit dem Bauen zu beschäftigen und weniger mit theoretischen Debatten. Ich rechne damit, dass wir uns durch die Krise stärker mit der Realisierung nachhaltiger Projekte befassen werden und damit eine Architektur schaffen werden, die mehr Substanz hat.
Ich glaube, dass wir als Architekten ein bisschen selbstkritischer gegenüber unseren Ansprüchen und der Qualität unserer Gebäude werden müssen. Die heutige Finanzkrise wird uns glücklicherweise näher an die Frage nach dem wirklichen Wert des realisierten Produkts bringen. Das heißt nicht, dass das, was vor 2008 entworfen und gebaut worden ist, schlecht war, aber es war sehr viel Spekulationsarchitektur, die dazu diente, ein finanzielles Szenario zu initiieren und nicht, um es wirklich zu bauen. Gerade unsere schnelllebige Zeit verpflichtet uns dazu, uns verstärkt mit dem Bauen zu beschäftigen und weniger mit theoretischen Debatten. Ich rechne damit, dass wir uns durch die Krise stärker mit der Realisierung nachhaltiger Projekte befassen werden und damit eine Architektur schaffen werden, die mehr Substanz hat.
Was
verstehen Sie unter qualitätsvollem und nachhaltigem Bauen?
Ich
arbeite sehr gerne mit historischer Bausubstanz, weil ich in diesen
alten Gebäuden Materialien und Konstruktionen finde, die ich heute
nicht mehr realisieren kann. Das ist auch der Grund, warum ich beim
Umbau des Dynamo-Stadiums unbedingt den schönen,
konstruktivistischen Altbau erhalten will. Durch einen Neubau würde
ich wahrscheinlich all die Qualitäten des alten Stadiums verlieren.
Bei der Innenraumgestaltung der Rechtsanwaltskanzlei De Brauw
Blackstone Westbroek im Hochhaus in Amsterdam verwendeten wir zum
Beispiel bewusst hochwertigen und dicken Naturstein. Das ist doch die
nachhaltigste Form zu bauen. Ich finde, dass einerseits die
Bauindustrie nicht innovativ genug und extrem langsam ist und die
Architekten auf der anderen Seite gegenüber der Bauindustrie zu
wenig verlangen. Die Modeindustrie zeigt doch sehr viel schöner, wie
die Entdeckung neuer Materiealien die Möglichkeiten vervielfältigt.
Ich meine, dass die Architekten viel zu feige sind, um ihre Ansprüche
durchzusetzen.
Anspruchslos
in welcher Hinsicht?
Jeder
Autodesigner zwingt den Hersteller dazu, das umzusetzen, was er will.
Die Architekten reden da zu viel. Wenn man die zwei neuen Ikonen der
zeitgenössischen Architektur, nämlich den CCTV-Tower von OMA und
das Vogelnest von HdM, ansieht, dann sind die sicherlich sehr
repräsentativ, vermissen aber im Detail jeden Anspruch und jede
Verfeinerung, die man bei HdM sonst kennt. Die zwei Gebäude zeigen
mir vor allem, dass die Architekten den gesamten Bau nicht im Griff
hatten, und das tut mir sehr weh. Ich finde in diesem Kontext die
ganzen Debatten über die ideologischen und moralischen Hintergründe
nebensächlich.
Was
ist dann Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Architekten heutzutage?
Die
Architekten müssen sich verstärkt ums Bauen, um die Umsetzung und
um die Realisierung der Entwürfe kümmern. Ich versuche so gut wie
möglich, die Realisierung unserer Projekte zu kontrollieren, um
sicherzugehen, dass die Dinge gut ausgeführt werden. Leider
funktioniert das nicht immer. Es geht eher jeden Tag schlechter, es
wird einfach nicht gut gebaut. Viele Architekten entwerfen heutzutage
die beeindruckendsten geometrischen Formen, können aber nicht
garantieren, dass sie in einer technisch qualitätsvollen und damit
nachhaltigen Weise realisiert werden.
Als
Architekten haben wir die Aufgabe, dauerhafte Werte zu schaffen. Das
tut man nicht nur, indem man starke Ideen kreiert, sondern auch,
indem man dafür sorgt, dass sie entsprechend umgesetzt werden.
Was
können wir von Erick van Egeraat in der Zukunft erwarten? Wie
möchten Sie sich weiterentwickeln?
Der
Wiederaufbau meiner Büros in den verschiedenen Ländern ist sicher
mein längerfristiges Ziel. Inhaltlich möchte ich vor allem
versuchen, die Erfahrungen, die wir mit dem Bauen z. B. in
Deutschland gemacht haben, mit nach Russland zu bringen.
Das grenzüberschreitende Arbeiten bleibt also ein klar definiertes Ziel von Ihnen?
Ja,
weil das einerseits meinem Streben nach Vielfalt entspricht und
andererseits das Leben und Arbeiten in verschiedenen Ländern für
mich die bedeutendste Qualität unserer Zeit ist. Daneben
interessieren mich nach wie vor alle Projekte, die das städtische
Leben verstärken und ihm Impulse verleihen.
Wie
würden Sie dann Ihre Philosophie, Ihre tiefsten Überzeugungen
definieren?
Letztlich
versuche ich in meiner Architektur, das umzusetzen, wofür ich auch
als Privatperson stehe. Für mich ist der größte persönliche
Reichtum die Freiheit und Vielfältigkeit, also dass ich nicht einer
Religion, einer politischen Überzeugung oder einer Weltanschauung
angehören muss, sondern immer die freie Wahl habe und demetsprechend
verantwortlich leben kann.