FORUM – INTERVIEW – Marc Barani, Nizza/FR
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Marc Barani © Gaston F. Bergeret |
An
der Côte d’Azur verwurzelt
Marc
Barani hat durch den Prix de l’Équerre d’Argent in Frankreich,
aber auch durch die Nominierung zum Mies-van-der-Rohe-Preis für sein
umfangreiches gestalterisches Repertoire internationale Anerkennung
bekommen. Sein Wissen als Bühnenbildner und seine Herkunft aus
Roquebrune-Cap-Martin übersetzt er in spannende Gebäude mit
theatralischem Charakter. Ein Gespräch über die Ingredienzen seiner
Arbeit, französische Mittelmeerarchitektur und seine Rolle als
Architekt und Städteplaner.
Michael
Koller im
Gespräch mit Marc
Barani
Inwieweit
hat Ihre Herkunft Ihre Entscheidung, Architektur zu studieren,
beeinflusst?
Roquebrune-Cap-Martin
ist sicher kein neutraler Ort, weil dort das Haus von Le Corbusier
oder die Villa Eileen Gray stehen. Ich weiß nicht, ob das der Grund
war, dass ich Architektur zu studieren begann – man kann immer eine
Geschichte im Nachhinein konstruieren –, aber es ist sicherlich
wahr, dass diese Tatsachen nicht unwesentlich waren. Le Corbusier hat
in der Gemeinde eine große Rolle gespielt und den Ort durch seine
Persönlichkeit stark geprägt.
War
Ihnen das schon sehr früh bewusst?
Nein,
natürlich nicht. Ich kann mich nur erinnern, dass mir das Grab von
Le Corbusier schon als Kind durch seine außergewöhnliche Gestaltung
und seine spezielle Form aufgefallen ist. Es war gleich neben unserem
Familiengrab und hat sich in seiner ganzen Erscheinung und Konzeption
grundlegend von allen anderen unterschieden und überhaupt nichts mit
der klassischen Formen eines Grabes zu tun gehabt. Aber ich wusste
damals noch nicht, wer Le Corbusier war.
Ihre
Architektur zeigt eine starke Verwurzelung mit der Mittelmeerregion,
sie besitzt viele Elemente, die die Rahmenbedingungen für das Planen
am Mittelmeer erst bewusst machen. Wie kommt das?
Ich
bin überzeugt, dass die Autobiografie eine ganz entscheidende Rolle
im Leben eines Architekten und ganz besonders in meiner Arbeit
spielt. Bei der Friedhofserweiterung habe ich erstmals versucht, das
Leben auf den Hügeln von Roquebrune-Cap-Martin, das Klima, das
Territorium, die ganz spezielle Geografie von Roquebrune
einzufangen und architektonisch und gestalterisch umzusetzen. Die
Berge fallen steil und unmittelbar ins Meer ab. Der extreme Gegensatz
der Härte des Gesteins und der mächtigen Präsenz der Berge auf der
einen Seite und dem ungreifbaren, fließenden Horizont des Ozeans und
des Himmels auf der anderen Seite haben mich tief beeindruckt und
nachhaltig geprägt.
Die
Konstruktion eines Horizonts ist ein Element, das in vielen ihrer
Projekte wiederkehrt …
Je
mehr ich arbeite, desto stärker wird mir bewusst, dass das
Thematisieren des Horizonts Teil meiner Wurzeln ist und ich von
diesen ausgehend arbeite, auch wenn ich heute in Regionen plane, die
nicht am Mittelmeer liegen. Der genetische Code einer Region bzw. die
Tatsache, dass ich aus einer bestimmten Region komme und damit zu
einer bestimmten Kultur gehöre, ist quasi die erste Kondition meines
Arbeitens.
Und
wodurch zeichnet sich die Kultur von Nizza und der Region aus?
Wenn
man in Nizza arbeitet und lebt, befindet man sich in einem
permanenten Übergang zwischen den Kulturen. Das ist auch die zweite
Kondition, die mich stark geprägt hat. Nizza ist ursprünglich eine
italienische Stadt, aber gleichzeitig eine französische Stadt. Sie
steht in mehrerlei Hinsicht zwischen den Dingen. Nizza ist eine sehr
internationale Stadt und daher sehr schwierig zu begreifen und zu
verstehen. Es gibt hier sehr viele verschiedenen Kulturen, die sich
treffen: Es gibt neben der französischen Gemeinschaft eine dänische,
eine italienische, eine englische etc.
Ist
Nizza darum so ein guter Nährboden für künstlerisches Schaffen?
Sicherlich.
Die Lebenskonditionen in Nizza waren für Künstler immer sehr
inspirierend, was zum Beispiel in der École de Nice, den Nouveaux
Réalistes oder bei Matisse etc. zu sehen ist. Es hat hier immer ein
ganz ausgeprägtes künstlerisches Schaffen gegeben, nur eben nicht
primär auf die Architektur bezogen.
Architektur ist für mich das räumliche und formale Ensemble, das erst durch die Menschen, die sich darin bewegen, seinen eigentlichen Sinn erhält. Architektur ist für mich die Begleitung des menschlichen Körpers.
Sie haben zu Beginn der 1970er-Jahre an der École d’Architecture in Marseille zu studieren begonnen. Was wurde damals gelehrt?
Ich
habe mein Studium 1976 begonnen, also in der Zeit nach ‘68, die den
Unterricht grundlegend verändert hat. Damals dominierten die
Soziologen die Ausbildung an der Universität. Dadurch kam es zu
diesem Bruch mit der Auffassung, dass Architektur Teil der schönen
Künste sei. Architektur musste für die Gesellschaft gemacht werden.
Der Ausgangspunkt unserer Studien war die Soziologie, die
Entdeckungsreise der menschlichen Gruppierungen. Das war auch der
Grund, warum wir letztlich kaum Architektur im konstruktiven Sinne
gemacht haben, sondern hauptsächlich programmatische Diagramme,
städtebauliche Studien und Visionen zur Verbesserung der
Lebensbedingungen der Gesellschaft erstellten, auf der Suche nach
einer neuen sozialen Organisation. Es war ein Unterricht, der uns
lehrte, dass die Architektur eine Umsetzung der sozialen, kulturellen
und politischen Bedingungen in eine adäquate Form ist und nicht
allein eine formal-ästhetische Übung zum Selbstzweck.
Das
Interesse für die Stadt kommt also aus Ihrer Ausbildung?
Instinktiv
ja. Die Straßenbahn in Nizza ist sicherlich ein perfektes Beispiel,
weil eine derartige Intervention die Stadt dutzende Male stärker
verändert als ein einzelnes Gebäude. Sie hat ein ganzes Viertel
verändert und die Menschen, die dort leben wieder mit dem
Stadtzentrum verbunden. Diesen Effekt kann ein einzelnes Gebäude
natürlich nicht erzielen. Sie hat uns außerdem bestätigt, dass man
letztlich die Teile einer Stadt nicht unabhängig voneinander
betrachten kann, sondern als Teil eines ganzen Organismus verstehen
muss.
Das
heißt, das Straßenbahnprojekt ist ein soziales Projekt?
Ja,
die Straßenbahn verbindet symbolisch aber auch ganz real die Stadt
und die Bewohner miteinander. Verbindungen für und zwischen Menschen
herzustellen ist auch in den anderen Projekten wie den pädagogischen
Ateliers, den Friedhöfen und den Infrastrukturprojekten ein
zentrales Anliegen. Und obwohl es natürlich einen Unterschied
zwischen einer Villa und einem Straßenbahnprojekt gibt, ist die
Arbeitsmethode für beide ähnlich. Daneben verändern wir in beiden
Fällen durch eine architektonische Intervention die Wohn- und
Lebenskonditionen der Menschen und ermöglichen ihnen dadurch eine
andere Sichtweise auf ihre Umwelt.
Sehen
Sie sich dann heute eher als Städteplaner oder als Architekt?
Während
unseres Studiums an der Architekturschule in Marseille fehlte schon
der Unterricht, wie man Architektur als solche zeichnen soll. Wir
machten ganz wenige technische Zeichnungen. Aber noch während meines
Studiums gab es dann die Umkehr vom Erstellen von sozialen
Organigrammen zum Entwurf urbaner Formen und der Entwicklung des
Projekts an sich. Letztlich wusste ich damals noch nicht, was
Architektur für mich war, habe aber gespürt, dass sie zwischen der
Anthropologie, also wie die Menschen leben, und der bildenden Kunst
liegen musste.
Sie
haben dann eigentlich über die Fotografie die formale Seite der
Architektur untersucht.
Ich
habe eine Zeitlang, quasi als Assistent, mit dem Fotografen Jacques
Henri Lartigue gearbeitet. Für ihn war das Ziel der Fotografie, das
Leben, die Menschen, ihr Verhalten und ihre Bewegungen einzufangen
und nicht ein formal schönes Bild zu schießen. Durch ihn lernte ich
die Balance zwischen dem formalen Aspekt der Essenz der Form zu
erkennen.
Wie definieren Sie dann Architektur für sich?
Architektur
ist für mich das räumliche und formale Ensemble, das erst durch die
Menschen, die sich darin bewegen, seinen eigentlichen Sinn erhält.
Architektur ist für mich die Begleitung des menschlichen
Körpers.
Neben
Friedhöfen, Brücken und Infrastrukturprojekten haben Sie viele
Ausstellungsräume und Museen entworfen. Wie kommt das?
Über
die Arbeit mit Künstlern und meine künstlerische Ausbildung zum
Bühnenbildner bin ich zu Aufträgen für die Gestaltung und zum
Umbau von Museen wie den pädagogischen Ateliers für Kinder im
Château de Mouans-Sartoux gekommen. Was für mich an der Aufgabe
damals besonders interessant war, war das soziale Projekt, das die
Stadt durch den Bau der Ateliers und der Förderung der Kunst im
Allgemeinen anstrebte: die Verbindung zwischen der Kunst, den in der
Region, in vielen kleinen Enklaven existierenden Künstlern, und der
Bevölkerung zu schaffen. Daneben stand die Frage: Wie kann man
Kinder für Kunst sensibilisieren oder ihnen vielmehr das Sehen,
Hören und Fühlen beibringen? Das stand im Zentrum des Projekts.
Damals war dieser Ansatz eine Neuheit.
Wir versuchen, eine Idee konsequent zu verfolgen, selbst wenn uns das an die Grenzen des Machbaren führt, weil wir gerade dadurch technische Lösungen und Innovationen entwickeln.
Aber
das ist heutzutage eigentlich keine Besonderheit mehr. Das ist das
Ziel zahlreicher Städte, was am deutlichsten durch die europäischen
Kulturhauptstädte zum Ausdruck kommt.
Die
Situation der Kultur ist heute ein bisschen delikat, weil sie in
Europa sehr stark als Vektor für die politische Kommunikation
eingesetzt wird und starke wirtschaftliche Interessen dahinterstehen,
die Förderung aber gleichzeitig sehr interessante Dinge produziert.
Die Kultur einer Region oder Stadt ist aber auch zentrales Element im
Konzept der nachhaltigen Stadtentwicklung, nicht nur die Frage der
Energie.
Ihre
Projekte zeigen ein hohes technisches Können und die Suche nach dem
Außergewöhnlichen.
Von
Beginn unserer Selbstständigkeit an haben wir einen Partner im Büro
gehabt, der nicht Architekt, sondern Ingenieur war, der die
Bauausführung gemacht hat und das technische Wissen und den Kontakt
zu den Firmen hatte. Das war für uns immer essenziell, um Gebäude
einfach korrekt ausführen zu können.
Das hat Ihnen die Möglichkeit gegeben, weiterhin verstärkt am Entwurf zu arbeiten …
Es
gibt für mich keinen Schnitt zwischen der Idee und der Umsetzung.
Wenn wir uns nicht die Möglichkeit geben, die Bauprozesse gut genug
zu kennen, um sie zu verstehen, dann haben wir natürlich auch keine
Mittel, sie zu verändern oder zu beeinflussen, und damit werden die
Ideen irgendwie umgesetzt. In der gleichen Manier nehmen wir uns die
Zeit und geben uns die Möglichkeit, an vorgegebenen Programmen zu
arbeiten, sie zu verändern und an die lokalen Gegebenheiten
anzupassen. Das haben wir in Nizza für die Straßenbahn genauso wie
für das Kongresszentrum in Nancy getan.
Der
Ingenieur ist für Sie also nicht nur die ausführende Person?
Im
Vergleich zum Ingenieur kann der Architekt innerhalb eines komplexen
Ensembles von sozialen, politischen und ökonomischen
Rahmenbedingungen eine Vision ins Projekt einbringen. Das Atout des
Architekten ist die Fähigkeit, eine räumliche Vision eines
komplexen Programms für einen Ort mit vielen Limits zu entwerfen, es
zu positionieren, zu überlagern und zu verbinden. Das ist ein
Wissen, das dem Architekten zu eigen ist, aber nicht dem Ingenieur.
Ist
Innovation für Sie ein Ziel in Ihrer Architektur?
Wir
versuchen, eine Idee konsequent zu verfolgen, selbst wenn uns das an
die Grenzen des Machbaren führt, weil wir gerade dadurch technische
Lösungen und Innovationen entwickeln. Das Ziel ist dabei aber nicht
die Innovation an sich, sondern vielmehr eine Idee umzusetzen und die
Qualitäten von Materialien optimal für unsere Gebäude einzusetzen
– sei das nun für eine Brücke oder eine Gebäudefassade.