FORUM – SKIN 01-02/2017 – Haus de Meuron, Caviano/CH



Die geschlossene, straßenseitige Südfassade lässt hinter der massiven Stahltür kaum den Eingang eines Wohnhauses vermuten.

Beton durch und durch 
BETON - Das Wohnhaus für die dreiköpfige Familie de Meuron liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Architekturbüro Wespi de Meuron Romeo im Ort Caviano am Ostufer des Lago Maggiore. Der Baukörper mit seiner polygonalen Außenform entstand durch die strikte Umsetzung der Bebauungsrichtlinien und unter genauer Einhaltung der baurechtlichen Rahmenbedingungen für die Höhen und die Grundstücksabstände dieses Restgrundstücks von nur 128 Quadratmetern. 

FOTOS: HANNES HENZ 
PLÄNE: WESPI DE MEURON ROMEO ARCHITEKTEN
TEKST: MICHAEL KOLLER

Entstanden ist dadurch ein unregelmäßiger, fünfeckiger Grundriss von insgesamt 79 Quadratmetern Bruttofläche. Diesem Fünfeck wurden im Erdgeschoß und ersten Untergeschoß Rechtecke von 48 Quadratmetern Bruttofläche eingeschrieben, die den beheizten Innenraum bilden. Die Restflächen sind als Patios, Terrassen und Loggien ausgebildet und schaffen die notwendigen Außenräume und Gärten, die dem Bauwerk sonst fehlten. 

Die talseitigen Fassaden sind von vielen quadratischen Öffnungen perforiert.

Von der südseitig gelegenen, bergseitigen Zufahrtsstraße aus präsentiert sich der Baukörper als geschlossenes, ebenerdiges Volumen, das ein Nebengebäude vermuten lässt. Erst durch das Öffnen der breiten und massiven Stahltür zwischen den beiden dekorativen Palmen, die gleichsam als Platzhalter dienen, entpuppt sich das Gebäude als Wohnhaus. Auf der zum See hin orientierten Talseite entwickelt sich der Bau zu einem schlanken Wohnturm, der sich dem steilen Hang entgegenzustemmen scheint. Die grobkörnigen Waschbetonflächen werden hier durch eine Vielzahl kleiner, weil sekundärer Fenster- und Maueröffnungen perforiert. Die einzige Ausnahme bildet die große Öffnung im obersten Geschoß der Nordwestfassade, die einen wunderbaren Blick auf den Lago Maggiore eröffnet. Die kleineren Öffnungen sollen den massiven Charakter der Betonflächen noch verstärken und das Volumen des Baukörpers visuell und gefühlsmäßig intakt belassen. 

Der Vorhof mit Sitznische, der sich hinter der stählernen Eingangstür verbirgt.

INSZINIERTES WOHNEN 
Das Wohnen erscheint hier auf drei Ebenen in einer beinahe asketischen Art und Weise inszeniert worden zu sein. Ist man erst einmal durch das Eisentor vom gepflasterten Vorplatz eingetreten, findet man sich in einem begrünten und lichtdurchfluteten, weil südseitigen Vorhof wieder. Dieser Patio ist zum Teil mit großformatigen Steinplatten ausgelegt, die die Architekten bei einem Hausumbau im Nachbardorf erstehen konnten. Der Hof wird von der Familie als Essplatz im Freien genutzt. Die kleine Essnische, neben dem Eingangstor soll laut de Meuron nicht nur die Dicke der Betonmauer unterstreichen, sondern bezieht sich auf die vielen Sitzgelegenheiten, die die lokalen Bewohner traditionsgemäß, straßenseitig vor ihren Häusern einrichten. Der auf dieser Eingangsebene gelegene Wohn- und Essraum mit offener Küche bildet eine an zwei Seiten raumhohe verglaste Box, die in die fünfeckige Betonhülle eingefügt wurde. Auch auf der zum Lago Maggiore hin orientierten Nordwestseite des Wohnraumes organisierten die Architekten einen Patio. Über die Wände dieses Patios wird indirekt zusätzlich Licht ins Hausinnere zurückreflektiert. 

Der Wohn-, Ess- und Kochbereich organisieren sich um den Kamin. Die Wände zu den Patios sind völlig verglast.

Im Gegensatz zum lichtdurchfluteten Wohnbereich mit der großen Glasfront, die die Grenze zwischen Innen und Außen optisch aufhebt, erinnert das erste Untergeschoß mit seinen beiden Schlafzimmern und Nassbereichen eher an eine Schlafhöhle, in der der natürliche Lichteinfall bewusst reduziert wurde, um unterschiedliche Lichtstimmungen innerhalb des Gebäudes zu erzeugen. Auch hier findet man die raumabschließenden, ganzflächigen Fensterfronten wieder. Sie öffnen sich allerdings zu Loggien an deren Begrenzungsmauern man die quadratischen Öffnungen wiederfindet. Die Böden der Loggien sind mit einfachen Kieselsteinen beschüttet, womit wiederum der Bezug zur Natur gesucht wurde. Im zweiten Untergeschoß befinden sich Keller, Abstell- und Haustechnikraum. 

Grundriss EG (Wohngeschoss)

BODENSTÄNDIG UND ARCHAISCH ZUGLEICH 
Wespi de Meuron Romeo arbeiten gerne mit natürlichen Baumaterialien wie Holz und Stein und sehen sich selbst als Vertreter einer bodenständigen und archaischen Architektur. Bei diesem Haus haben sie den groben und grauen Aspekt des Betons bis in das Innere weitergezogen, indem sie alle Innenwände und Decken mit einem anthrazitfarbenen, rauen Putz versahen. Selbst die Türen der Wand- und Küchenschränke – Ausstattung und Möbel sind von den Architekten entworfen – wiederholen denselben Farbton. Die groben Waschbetonflächen der Fassaden kehren in vielen Bauten des Büros wieder. Sie finden ihren Ursprung in den grauen Natursteinfassaden der traditionellen Häuser des Tessins, auf die auch die kleinen Maueröffnungen verweisen. Dunkler Beton und reduzierte Fensteröffnungen sind, wie de Meuron bestätigt, in einem warmen und sonnigen Klima wie am Lago Maggiore durchaus möglich, ohne dadurch an Tageslicht im Innenraum einzubüßen.

Grundriss 1.UG (Schlafgeschoss)

Die Waschbetonfassaden entstanden auch in Anlehnung an die traditionellen Stützmauern entlang der steilen Hänge zum See. Mit dieser Oberflächengestaltung und einfachen Gebäudeform suchen Wespi de Meuron Romeo sich mit ihren Projekten hinter die umgebende Natur zurückzutreten. Hierzu tragt auch der natürliche Verwitterungsprozess der mineralischen Oberflächen bei, obwohl gerade diese einfache Formensprache und der Materialgebrauch eigentlich formal im krassen Gegensatz zu den Architekturen der umliegenden Häuser steht. 

Schnitt durch das dreigeschossige Wohnhaus.

PROJEKTDATEN 
Haus de Meuron

Bauherr: Fam. Jérôme + Paola de Meuron 
Architekten: Wespi de Meuron Romeo Architekten BSA AG (www.wdmra.ch) 
Einrichtung: Wespi de Meuron Romeo Architekten BSA AG (www.wdmra.ch) 
Bauingenieur: de Giorgi & Partners, 6600 Muralto 
Bauphysik: IFEC Ingegneria SA, 6802 Rivera 
Baumeister: Canonica SA, 6600 Locarno 
Fensterbauer: Morotti GmbH, 6573 Magadino 
Gipser: Paolucci SA, 6710 Biasca 
Zimmermann: Romeo Buss GmbH, 6415 Arth 
Fertigstellung: Januar 2015 
Grundstücksfläche: 128 m2 
Bruttogeschoßfläche: 177 m2 
Nettowohnfläche: 80 m2



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