FORUM – SKIN 02/2013 – Erweiterung Museum De Fundatie, Zwolle/NL
EIN
SCHIMMERNDES EI AUF DEM DACH
Bierman
Henket architecten haben durch den eiförmigen Dachaufbau des Museums
De Fundatie im niederländischen Zwolle die Fliese als
Gestaltungselement für Fassaden wieder ins Licht der Aufmerksamkeit
gerückt, sie neu interpretiert und ihr einen neuen Stellenwert
zugeordnet.
Text
Michael Koller
Das
Museum De Fundatie ist in einem von Architekt Eduard Louis de
Coninck 1838 im neoklassizistischen Stil entworfenen und 1841
fertiggestellten Gebäude untergebracht. Der ursprünglich als
Gerichtsgebäude genutzte Bau liegt in der mittelalterlichen
Innenstadt von Zwolle und grenzt mit seiner Rückseite an einen Park.
2010 erhielten Bierman Henket architecten den Auftrag für den Ausbau
der zu klein gewordenen Räumlichkeiten. Der historische Gebäudeteil,
der sich auf einer Grundfläche von zirka 30 x 50 Metern erhebt,
zeichnet sich durch seine Symmetrie sowohl in der Längs- als auch in der
Querrichtung aus. Beide Eingänge, sowohl gegen das Stadtzentrum als
auch an der Parkseite, wurden als von monumentalen Säulen im
korinthischen Stil charakterisierter Mittelrisalit ausgebildet. Die
Hauptfront zum Blijmarkt öffnet sich auf einen kleinen Vorplatz.
Die neue Bar mit dem "Auge" in Hintergund © Joep
Jacobs
|
Dominanter
Solitär
Zwischen
den verschiedenen Möglichkeiten eines Zubaus entschied man sich
schließlich für einen Aufbau über dem bestehenden Dach. Hubert-Jan
Henket konnte den Bauherrn davon überzeugen, dass ein seitlicher
Anbau zur Zerstörung des solitären Charakters des Gebäudes geführt
hätte. Um an die strenge Gebäudesymmetrie des Bestandes
anzuschließen, entschieden sich der Architekt ebenfalls für eine
symmetrische, elliptische und an einen Rugbyball erinnernde Form.
Über
den auf dem kleinen Vorplatz befindlichen Haupteingang gelangt man in
ein im Gebäudezentrum gelegenes Atrium, das sich über die gesamte
Gebäudehöhe erstreckt. Dieses Atrium ist das verbindende Element
zwischen dem Altbau und dem konstruktiv völlig unabhängigen Neubau
darüber. Über den verglasten Lift im Atrium kommen die Besucher
von den Ausstellungsräumen des Erdgeschoßes und des 1.
Obergeschoßes im Altbau zu den zwei neuen Geschoßen in einer
dritten und vierten Ebene.
Am
Schnittpunkt zwischen Alt- und Neubau, zwischen dem 1. und dem 3.
Obergeschoß befindet sich ein Gang, dessen Außenwand im oberen
Bereich durch ein rundumlaufendes Fensterband gekennzeichnet ist und
den Blick in das Atrium frei gibt. Von dort aus führen auch die
neuen Treppen, die parallel zur Krümmung des Dachaufbaus verlaufen,
in die neu hinzugefügten oberen Stockwerke mit ihren rund 1.000
Quadratmetern.
Übergang vom Altbau zum Neubau © Joep
Jacobs
|
Konstruktives
Gerüst
Die
tischartige Konstruktion des Aufbaus lagert auf acht quadratischen
Hohlstützen aus Stahl von 300 x 300 Millimetern, die durch die
Decken des bestehenden Gebäudes durchgeführt wurden und mittels
Schraubpfählen im Erdreich verankert sind. Die hinzugefügten
Stützen und die diagonalen Windaussteifungen konnten durch das
Verdicken der bestehenden Wände im Altbau unsichtbar verborgen
bleiben. Die Tischkonstruktion bildet den tragenden Unterbau des
neuen Gebäudevolumens. Von dieser Fläche aus formen 25
I-Stahlträger die Unterkonstruktion des Dachaufbaus.
Der
Hauptbinder der Längsachse, an die alle anderen Binder angeschlossen
sind, bildet das Rückgrat der Kuppelkonstruktion. Windrispen im
untersten Bereich der gekrümmten Binder sorgen für die notwendige
Aussteifung. Auf der Höhe, auf der sich die Hauptbinder wieder nach
Innen krümmen, verläuft ein Ringbalken. Die Fußbodenkonstruktion
des vierten Obergeschoßes steht frei, wiederum wie ein Tisch, auf
der Bodenplatte des Zubaus und schließt nicht an die Außenwände an
– wodurch sich ein Spalt zwischen dem Plateau und der eigentlichen
Dachschale ergibt.
Ansicht und Schnitt. Pläne: Bierman Henket architecten |
Äussere
Hülle
Die
heutige Fassade ist das Ergebnis einer langen Suche nach dem am
besten geeigneten Material und der adäquatesten
Befestigungsmöglichkeit, die im budgetären Rahmen und unter den
umwelttechnischen Auflagen zu realisieren war – ohne Abstriche von
den ästhetischen Ambitionen machen zu müssen. Die Architekten
entschieden sich ganz bewußt für kleinformatige Fliesen, um die
Form des Volumens gegenüber der Fassadenbekleidung in den
Vordergrund zu stellen.
Der
30 Meter lange, 25 Meter breite und 12,5 Meter hohe Aufbau ist mit
rund 55.000 speziell angefertigten Fliesen zwei unterschiedlicher
Formate bedeckt. Die weiß-blauen Fliesen von 190 x 190 x 60
Millimetern oder 95x 95x 35 Millimeter sind punktweise auf eine
einfache, 1,2 Millimeter dicke, wasserdichte EPDM-Folie geklebt und
wurden von der Keramikfirma “Koninklijke Tichelaar” in Makkum
hergestellt. Diese Montagetechnik wurde vielfältigen Tests
unterzogen, um sicherzustellen, dass die Fliesen durch Feuchte-,
Wind- oder Hitzeeinwirkung nicht brechen, oder sich von den
Dichtungsplatten lösen. Um eine Faltenbildung der Dachabdichtung zu
verhindern und eine flache Oberfläche zu erhalten, entschied man
sich bewußt für die Verwendung von EPDM-Platten (mit zirka 1000 x
1000 Millimetern) und nicht für EPDM-Dachbahnen. Die Fliesen sind
mehr oder weniger zufällig angeordnet und auf ihrer vertikalen Seite
verklebt, um das Ablaufen des Regenwassers an der darunterliegenden
Dachhaut sicherzustellen. Aus diesem Grund blieben auch die Fugen
zwischen den Fliesen offen. Für die Passstücke wurden einfache,
flache Fliesen derselben Textur und Farbe verwendet.
An
der Nordseite, im Bereich der Bar, sahen die Architekten ein großes,
etwa 65 Quadratmeter großes “Auge” vor, das einen weiten
Ausblick auf die Altstadt ermöglicht. Die Glasfläche besteht aus
dreiecksförmigen verkitteten Isolierglasplatten, die auf ihrer
Innenseite durch speziell entwickelte Punkthalterungen an der
Tragkonstruktion befestigt sind.
Blick auf die zwei neuen Ausstellungsebenen © Joep
Jacobs
|
Komplexes
Zusammenspiel
Die
Architektur des historischen Gebäudeteiles wird durch jene des
Neubaus betont und umgekehrt. Die unterschiedliche äußere
Erscheinung setzt sich auch im Inneren fort, wo die Geometrie der
Ausstellungsräume, aber ebenso die Treppen völlig unterschiedlich
sind. Die Proportionen des Bestandes
sollten sich im Aufbau widerspiegeln und das neue Volumen das
darunterliegende Bauwerk optisch nicht erdrücken. Die gekrümmte
Form verhindert auch, dass das weithin sichtbare Volumen in der
kleinmaßstäblichen Innenstadt von Zwolle zu dominant wird. Bei
bestimmten Tageslichtsituationen scheint es sogar vor dem weiß-blauen
Hintergrund des Himmels und der Wolken zu verschwinden.
Der
spannendste Moment für alle beteiligten Firmen – auch für die
Architekten – war das Enthüllen der fertigen Kuppel, eben jener
Augenblick, als alle Baugerüste und Abdeckplanen nach dem Verfliesen
der Dachhaut endgültig entfernt wurden. Durch die elliptische Form
des Aufbaus, die dreidimensionalen Fliesen und ihre unterschiedlichen
Farbschattierungen präsentiert sich das Projekt dem Betrachter stets
in einer anderen Erscheinung.